Dämmergang
Du lebst meerüber
In blauer Ferne
Und du besuchst mich
Beim ersten Sterne.
Ich mach im Felde
Die Dämmerrunde,
Umbellt, umsprungen
Von meinem Hunde.
Es rauscht im Dickicht,
Es webt im Düster,
Auf meine Wange
Haucht warm Geflüster.
Das Weggeleite
Wird trauter, trauter,
Du schmiegst dich näher,
Du plauderst lauter.
Da gibt′s zu schelten,
Da gibt′s zu fragen,
Und hell zu lachen
Und leis zu klagen.
Was wedelt Barry
So glückverloren?
Du kraust dem Liebling
Die weichen Ohren…
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Dämmergang“ von Conrad Ferdinand Meyer beschreibt eine intime Begegnung zwischen einem lyrischen Ich und einer geheimnisvollen, in der Dämmerung auftauchenden Präsenz. Die Atmosphäre ist geprägt von einer Mischung aus Sehnsucht, Vertrautheit und dem Gefühl des Unbekannten. Die verwendete Sprache ist einfach und doch suggestiv, wodurch eine bezaubernde Szenerie geschaffen wird, die Raum für Interpretation lässt. Die wiederkehrende Nutzung des „Du“ deutet auf eine direkte Ansprache hin, was das Gedicht persönlicher und intensiver macht.
Die erste Strophe etabliert die räumliche Distanz und die anschließende Begegnung: Das „Du“ ist in der Ferne, im „blauen“ Meer, verortet und „besucht“ das lyrische Ich „beim ersten Sterne“. Dies deutet auf eine Fernbeziehung oder die Sehnsucht nach jemandem, der unerreichbar scheint. Das Aufsuchen in der Dämmerung und beim Erscheinen des Sterns verleiht der Begegnung eine mystische, fast magische Qualität. Die folgenden Strophen beschreiben den gemeinsamen Gang des lyrischen Ichs und der mysteriösen Präsenz durch die abendliche Landschaft, wobei die Umgebung als Zeuge und Mitspieler fungiert.
Die Beschreibung der Umgebung, wie das „rauschende Dickicht“ und das „webende Düster“, verstärkt die geheimnisvolle Atmosphäre und schafft eine Verbindung zur Natur. Die „warm Geflüster“, die auf die Wange des lyrischen Ichs gehaucht werden, deuten auf eine intime, fast körperliche Nähe hin, was die Natur zu einem aktiven Teil der Begegnung macht. Die Interaktion mit dem Hund „Barry“ am Ende des Gedichts, der von der Präsenz gekrault wird, unterstreicht die Vertrautheit und die familiäre Stimmung.
Die letzte Strophe, die das Verweilen des „Du“ bei Barry und die Reaktion des Hundes beschreibt, lässt das Gedicht offen und unentschieden ausklingen. Was mit dem „Du“ in der Dämmerung geschieht, bleibt im Unklaren. Der Leser kann nur die Atmosphäre der Vertrautheit, der Freundschaft und der Liebe spüren, die die beiden verbindet. Es ist ein Gedicht über Sehnsucht, die Kraft der Imagination und die Schönheit des Moments, das die Sehnsucht nach einer verschwommenen Erinnerung oder einer nicht greifbaren Präsenz zum Ausdruck bringt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.