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Epiktet

Von

Verlangst du ein zufriednes Herz:
So lern‘ die Kunst, dich stoisch zu besiegen,
Und glaube fest, daß deine Sinnen trügen.
Der Schmerz ist in der That kein Schmerz
Und das Vergnügen kein Vergnügen.
Sobald du dieses glaubst: so nimmt kein Glück dich ein
Und du wirst in der größten Pein
Noch allemal zufrieden sein.
„Das“, sprichst du, „kann ich schwer verstehen.
Ist auch die stolze Weisheit wahr?“
Du sollst es gleich bewiesen sehen;
Denn Epiktet stellt dir ein Beispiel dar.

Ihn, als er noch ein Sklave war,
Schlug einst sein Herr mit einem starken Stabe
Zweimal sehr heftig auf das Bein.
„Herr“, sprach der Philosoph, „ich bitt‘ Ihn, laß Er’s sein,
Denn sonst zerschlägt Er mir das Bein.“ –
„Gut, weil ich dir’s noch nicht zerschlagen habe:
So soll es“, rief der Herr, „denn gleich zerschlagen sein.“
Und drauf zerschlug er ihm das Bein.
Doch Epiktet, anstatt sich zu beklagen,
Fing ruhig an: „Da sieht Er’s nun!
Hab‘ ich’s Ihm nicht gesagt, Er würde mir’s zerschlagen?“

Dies, Mensch, kann Zenos Weisheit thun!
Besiege die Natur durch diese starken Gründe.
Und willst du stets zufrieden sein:
So bilde dir erhaben ein,
Lust sei nicht Lust und Pein nicht Pein.
„Allein“, sprichst du, „wenn ich das Gegenteil empfinde,
Wie kann ich dieser Meinung sein?“
Das weiß ich selber nicht; indessen klingt’s doch fein,
Trotz der Natur sich stets gelassen sein.

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Gedicht: Epiktet von Christian Fürchtegott Gellert

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Epiktet“ von Christian Fürchtegott Gellert setzt sich auf ironische Weise mit der stoischen Philosophie auseinander. Es stellt die Idee in den Mittelpunkt, dass wahre Zufriedenheit durch Selbstüberwindung erreicht werden kann und äußere Umstände keine Macht über das innere Gleichgewicht haben sollten. Die stoische Lehre, dass Schmerz und Vergnügen bloße Täuschungen der Sinne sind, wird dabei jedoch nicht vorbehaltlos bejaht, sondern kritisch hinterfragt.

Anhand des antiken Philosophen Epiktet, der als Sklave trotz erlittenen Unrechts stoische Gelassenheit bewahrt, veranschaulicht Gellert diese Denkweise. Epiktet bleibt selbst dann ruhig, als sein Herr ihm das Bein zerschlägt, weil er sich schon vorher mit dieser Möglichkeit abgefunden hatte. Diese übertriebene Darstellung verdeutlicht die Konsequenz der stoischen Haltung, macht sie aber zugleich fragwürdig: Kann man wirklich jede Pein ignorieren, nur weil man sich einredet, sie sei nicht real?

Gellerts Gedicht schließt mit einer skeptischen Note. Die stoische Lehre mag bewundernswert klingen, doch sie steht im Widerspruch zur menschlichen Natur. Die Ironie zeigt sich besonders in der letzten Strophe: Trotz aller Vernunft bleibt die Frage, wie man Schmerz leugnen soll, wenn man ihn doch deutlich empfindet. Damit setzt sich das Gedicht kritisch mit einem extremen Ideal auseinander und regt zur Reflexion darüber an, inwieweit Gelassenheit tatsächlich erlernbar ist.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.