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Cäsar Borjas Ohnmacht

Von

Wer bin ich? Einer, welcher unterging,
Den Kranz im Haar, den Becher in der Faust,
Mit einem herkulanischen Gelag
Von einem ungeheuren Sturz bedeckt?
Ich weiss den Becher nur und meinen Sturz …
Im Belvedere … Gestern … Am Bankett …
Den Becher, ihn kredenzte schlürfend mir
Der Papst, der ewig heiter lächelnde,
Denn Cäsar Borja bin ich, Sohn des Papsts!

Die Ampel über meinem Lager kämpft
Mit eines neuen Tages fahlem Schein …
Obs gestern oder ehegestern war,
Ich weiss es nicht, doch eines weiss ich wohl:
In jenem Becher gor der Borja Gift.
Er galt dem Gast, dem Bischof. Selbst gewürzt
Hat sich der Vater ewgen Schlummers Trunk!
Ein Becher ward verwechselt. Warum nicht?
Verrat des Schenken? Zufall? … Es geschah.
Ich lebe. Meine Drachenkraft bezwang
Das Drachengift. Die Stunde ruft. Zur Tat!
Leer steht ein Thron, und eine Krone rollt.
Verbraucht ist das Apostelmärchen. Weg
Damit. Der Vater war der letzte Papst!
Ein König folgt ihm nach, und der bin ich.
Entscheidungsstunde, nicht erschreckst du mich,
Ich habe lange dich voraus bedacht:
Entlarve mir dein kühnes Angesicht!
Du heissest Heute! Kämmrer, gib das Schwert!
Reif stehn die Ernten und die Sichel blitzt.
Marsch, meine Banden! Richtet das Geschütz
Auf des Konklave Kammern! Suchst du mich,
Hauptmann? Im Borgo, sagst du, wird gekämpft?
Ich komme! Ich vertausendfache mich!
Ich steige mordend auf das Kapitol
Und mit Italiens Krone krön ich mir
Dies Haupt, das seine Frevel überragt!

Ich träume nur und komme nicht vom Platz.
Sturmlaufend bleib ich eingewurzelt stehn.
Gelähmte Sehnen! Meuchlerisches Gift!
Auf einem Krankenlager krümm ich mich.
Kein Diener hier! Kein Arzt an meinem Pfühl!
Mietlinge! Meine Stunde schwebt vorbei,
Mit fliehndem Fuss berührt sie spottend mir
Die Faust, die ein erdichtet Schwert umkrampft.
Verweile, Schicksalsstunde! … Doch sie schwebt.
Ich fühle meiner Feinde heimlich Werk:
Sie schaufeln, sie minieren, während ich,
Geschleudert aus der Schranke, liege … Dort!
Die grüne Feuerkugel! Ein Signal
Von meinen Banden? Nein, ein Meteor
Zuckt flüchtig durch die schwüle Sommernacht.
Hier über Romas Kuppeln loht es auf:
Nahn fackelschwingend meine Banden sich?
Nein, es ist Borjas Glück, das flammt und brennt,
Und seine Zinnen stürzen! Wehe mir!
Dem Valentino netzt die Wimper sich …
Pfui! Ist das eines Weibes Augenlid?

Verzweiflung! Göttin! Stähle meinen Leib!
Ich winde mich von meinem Lager auf,
Ich schreite … qualvoll … doch ich schreite. Bei
Der nackten Hölle, Sehnen, strammet euch! …
Verdammnis! . .. Wieder lieg ich hingestreckt …
Und ein erdolchter Knabe fesselt mich
Mit Ringen an den Stein … Dort gafft ein Weib,
Die Haare triefend, mit geschwollnem Hals …
Blutlose Brut! Weg in des Tibers Grab! …
Aus allen Wänden quillt es schwarz hervor
Und dunkelt über mir … Unsagbar Graun …

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Cäsar Borjas Ohnmacht von Conrad Ferdinand Meyer

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Cäsar Borjas Ohnmacht“ von Conrad Ferdinand Meyer ist eine eindringliche Innenansicht des Herzogs Cesare Borgia, der nach einem Giftanschlag zwischen Leben und Tod ringt. Es ist ein dramatisches Monolog, der von Selbstüberschätzung, Größenwahn, Paralyse und schließlich dem Untergang geprägt ist.

Der erste Teil des Gedichts schildert Borgias vermeintliche Stärke und seinen grenzenlosen Ehrgeiz. Er sinnt über das Bankett im Belvedere, den Giftbecher und den Verrat, der ihn traf. Er ist überzeugt, dass er überlebt hat, um seine Machtansprüche geltend zu machen: den Thron zu erobern, das Papsttum zu vernichten und Italien zu beherrschen. In dieser Phase wird die Sprache von entschlossenen Befehlen, wie „Zur Tat!“ und „Marsch, meine Banden!“, und von kühnen Zielen, wie der Krönung zum König, beherrscht. Doch schon hier sind Risse in seinem Selbstbild zu erkennen, die durch das Wort „Ich träume nur“ angedeutet werden.

Der zweite Teil des Gedichts ist geprägt von Borgias Ohnmacht und Verzweiflung. Er ist gelähmt, gefangen in seinem eigenen Körper und unfähig, seine Pläne zu verwirklichen. Die einst so mächtige Gestalt wird zum Spielball des Schicksals. Er nimmt sein Scheitern wahr, sieht die Zeichen des Untergangs – das Signal, die brennenden Türme, das „flammende Glück“ – und erkennt, dass seine Feinde bereits zum Angriff übergehen. Die Visionen des erdolchten Knaben und des „Blutlose Brut!“ sind Ausdruck seiner wachsenden Verzweiflung und des Zusammenbruchs seiner Welt.

Die Sprache des Gedichts ist kraftvoll und bildreich. Meyer nutzt eine Fülle von Metaphern und Bildern, um die innere Zerrissenheit und den Niedergang Borgias zu verdeutlichen. Die Verwendung von Ausrufen, rhetorischen Fragen und unvollständigen Sätzen erzeugt eine Atmosphäre von Dringlichkeit, Panik und Verzweiflung. Der Wechsel zwischen grandiosen Visionen und dem Gefühl der Ohnmacht, zwischen Befehlen und Selbstzweifeln spiegelt die innere Zerrissenheit des Protagonisten wider. Die wiederholte Verwendung des Wortes „ich“ unterstreicht die innere Vereinsamung Borgias in seiner Ohnmacht.

Das Gedicht ist somit eine Studie des Machtstrebens, des Größenwahns und des tragischen Scheiterns. Es zeigt, wie der Mensch durch eigene Hybris und äußere Umstände in den Abgrund gestoßen werden kann. Meyer verwebt historische Fakten mit psychologischer Tiefe und schafft so ein beeindruckendes Porträt eines Mannes, der am Ende seiner selbst gescheitert ist, gefangen in der Ohnmacht, während seine Welt um ihn herum zerfällt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.