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Bubensonntag

Von

Wenn ich einst, ein kleiner Bube,
Sonntags früh im Bette lag,
und die helle Kirchenglocke
all das Schweigen unterbrach:

O wie schlüpft′ ich dann so hurtig
aus dem Bett ins Kleid hinein,
und wie gern ließ ich das Frühstück,
um zuerst bei Gott zu sein!

Ein Gesangbuch unterm Arme,
eh′ ich′s Lesen noch verstand,
ging ich fort, gebeugten Hauptes,
fromm verschränkend Hand in Hand.

Kam mein Hündchen froh gesprungen,
schalt ich: »Komm mir nicht zu nah!«
Kaum daß ich, zur Seite schielend,
nach der Vogelfalle sah.

Fiel die Kirchentür nun knarrend
hinter meinem Rücken zu,
sprach ich furchtsam-zuversichtlich:
»Jetzt allein sind Gott und du!«

Längst mit ganzem, vollem Herzen
hing ich da an meinem Gott,
Doch, daß niemand ihn erblicke,
hielt ich stets für eitel Spott.

Und so hofft′ ich jeden Morgen,
endlich einmal ihn zu seh′n;
war′s denn nichts in meinen Jahren,
stets um fünfe aufzustehn?

Auf dem hohen Turm die Glocke
war schon lange wieder stumm,
der Altar warf düstre Schatten,
Gräber lagen rings herum.

Drang ein Schall zu mir herüber,
dacht′ ich: jetzt wirst du ihn schaun!
Aber meine Augen schlossen
sich zugleich vor Angst und Graun.

Und dies Zittern, dies Erbangen
und mein kalter Todesschweiß –
daß der Herr vorbeigewandelt,
galt mir alles für Beweis.

Still und träumend dann zu Hause
schlich ich mich in süßer Qual,
und mein klopfend Herz gelobte,
sich mehr Mut fürs nächste Mal.

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Gedicht: Bubensonntag von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Bubensonntag“ von Friedrich Hebbel entfaltet die kindliche Religiosität eines jungen Knaben und seine Auseinandersetzung mit dem Glauben. Es schildert die Ambivalenz zwischen dem Wunsch nach Gottesnähe und der gleichzeitigen Furcht vor dem Göttlichen. Der Knabe, der sonntagsmorgens die Kirchenglocke vernimmt, eilt zum Gottesdienst, voller frommem Eifer und dem Wunsch, Gott zu begegnen.

Die erste Strophe etabliert die kindliche Unbekümmertheit und den Eifer des Knaben. Er ist schnell angezogen, verzichtet auf das Frühstück und möchte als Erster in der Kirche sein. Die folgenden Strophen zeigen jedoch eine Entwicklung von kindlicher Frömmigkeit hin zu einer intensiven, fast schon beängstigenden Auseinandersetzung mit dem Glauben. Seine kindliche Natur zeigt sich in seinem Verhalten gegenüber seinem Hund und der Vogelfalle. Er trennt sich von weltlichen Ablenkungen, um sich ganz auf Gott konzentrieren zu können. Die folgenden Strophen beschreiben eine tiefe Sehnsucht nach der Erfahrung des Göttlichen. Der Knabe erwartet eine direkte Begegnung mit Gott, eine Erwartung, die von Angst und Ehrfurcht begleitet wird.

Die entscheidende Szene, in der er vermeintlich kurz vor dem Erblicken Gottes steht, ist von Zittern, Angst und Todesangst geprägt. Dieses Erlebnis wird als Beweis für Gottes Gegenwart interpretiert. Die Beschreibung des „kalten Todesschweißes“ und des „Zitterns“ verdeutlicht die tiefe psychische Belastung, die mit der Vorstellung der Gottesbegegnung einhergeht. Der Knabe empfindet die Anwesenheit Gottes als überwältigend und beängstigend.

Die abschließenden Strophen zeigen, wie der Knabe nach diesem intensiven Erlebnis in einen Zustand der Traurigkeit und Sehnsucht zurückkehrt. Er ist hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach Gottesnähe und der Angst vor dieser Erfahrung. Das „klopfende Herz“ gelobt mehr Mut für das nächste Mal, was die fortdauernde Suche des Knaben nach einer tieferen Beziehung zu Gott andeutet. Das Gedicht endet mit einer melancholischen, aber auch hoffnungsvollen Note. Es zeigt die Komplexität kindlichen Glaubens und die Herausforderung, sich dem Mysterium des Göttlichen zu nähern.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.