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Im Walde

Von

Jüngst hab‘ ich drüber nachgedacht,
Verstimmt und unzufrieden,
Was mir die Gabe eingebracht,
Die mir Natur beschieden.

Mit welchem Kranze mich umlaubt
Mein Dichten und mein Denken?
Und schweigend mußte ich das Haupt
Mit bittrem Lächeln senken. –

Des Liedes sanfter Wellenschlag
Geht im Gebraus verloren!
Was soll der Dichter heutzutag?
Er singt vor tauben Ohren.

Warum ward nicht des Sanges Kraft
Anstatt in meine Seele,
Wo sie mir doch nur Leiden schafft,
Gelegt in meine Kehle?

Da wär‘ ich Königin im Reich
Der Triller und Kadenzen,
Mein Name würde sternengleich
In den Journalen glänzen. –

Statt daß der Schönheit reine Norm
Sich meinem Geist enthüllte,
O, daß sie doch in Tanzesform
Mein Gliederspiel erfüllte!

Da würden sie mit Mund und Hand
Mich als „Ereignis“ grüßen!
Zwei Welten lägen, froh entbrannt,
Anbetend mir zu Füßen.

Das wäre mir ein Glückeszug!
Das wären mir Talente,
Die man mit gutem Recht und Fug
Mit diesem Namen nennte! –

So dachte ich, mein Unmut schwoll,
Und ganz von ihm befangen
Bin ich, im Herzen finstern Groll,
Hinaus zum Wald gegangen.

Ein schöner, milder Herbsttag war’s,
Vielleicht die letzte Spende,
Der letzte Sonnenblick des Jahrs,
Das nah schon seinem Ende.

Wohl sprach der Blätter Gelb und Rot
Von Scheiden und Verzichten,
Doch um so treuern Gruß entbot
Das Immergrün der Fichten.

Ein sanfter Geist des Friedens hieß
Mich hier willkommen wieder;
Auf einem moos’gen Steine ließ
Ich mich zur Ruhe nieder.

Hoch über mir das reine Blau,
Um euch ein Meer von Strahlen,
Zu Füßen mir der Morgentau,
Bunt schillernd gleich Opalen!

Es schienen Erd‘ und Himmel traut
In Eines zu verschwimmen!
Da wurd‘ es plötzlich in mir laut
Von wundersamen Stimmen.

In meiner Seele ward es Tag,
Ich jauchzte auf und fühlte,
Wie unsichtbarer Flügelschlag
Die heiße Stirn mir kühlte.

Mein Geist, von frischem Mut geschwellt,
Trieb neue Blütenranken
Und es umwob mich eine Welt
Von tönenden Gedanken. –

Des Leid’s hab‘ ich nicht mehr gedacht,
Davon ich erst beklommen;
Dank einer rätselhaften Macht
War es von mir genommen.

Lebendig ward mir im Gemüt
Der eig’nen Kraft Erinnern,
Und tief beseligt, dankerglüht
Rief es in meinem Innern:

Trinkt immerhin vom gold’nen Wein
Des Ruhms in vollen Zügen!
Mir ward die Gabe, die allein
Sich selber kann genügen!

Die Kunst, die himmelangehaucht,
In stillen Waldeslauben,
Den Beifall nicht der Menge braucht
Um an sich selbst zu glauben.

Ihr müßt nach einem Publikum
Mit Sehnsuchtblicken spähen,
Und bleibt dies ferne oder stumm,
So ist’s um euch geschehen!

Doch
meine
Herrin, Poesie,
Tritt allwärts mir entgegen,
Am öd’sten Strand entböte sie
Mir ihren Gruß und Segen.

Sie hebt mich über all den Wust
Mit ihren starken Schwingen
Und heißet frisch in meiner Brust
Des Liedes Quellen springen.

Und wenn dem Lied voll Lust und Schmerz
Auch keine Seele lauschet,
Genug, daß es mein eig’nes Herz
Begeistert und berauschet!

Nehmt Gold und Ruhm als Lohn dahin,
Sirenen und Silphiden!
Mir ward der Dichtkunst Strahl – ich bin
Mit meinem Teil zufrieden!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Im Walde von Betty Paoli

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Im Walde“ von Betty Paoli ist eine poetische Selbstvergewisserung der Dichterin über den Wert und die Kraft ihrer Kunst – trotz gesellschaftlicher Missachtung und persönlicher Zweifel. Im Zentrum steht der innere Konflikt einer Künstlerin, die sich zunächst von Ruhm, Anerkennung und äußerem Glanz angezogen fühlt, aber schließlich durch die Begegnung mit der Natur zu einer tieferen, selbstgenügsamen Haltung gegenüber ihrer Gabe findet. Die Natur fungiert dabei als Spiegel und Impulsgeber für eine innere Wandlung.

Eingeleitet wird das Gedicht von einer bitteren Reflexion über das scheinbar undankbare Los des Dichters in einer Zeit, die kein Gehör mehr für Poesie hat. Die Sprecherin klagt über die Nutzlosigkeit ihrer Gabe, über das „taube Ohr“ der Gesellschaft und wünscht sich stattdessen Fähigkeiten, die äußeren Ruhm garantieren: Gesang, Tanz, körperliche Anmut. Ihre Enttäuschung über mangelnde Anerkennung wird durch ironisch-überspitzte Vorstellungen von Popularität und Applaus verstärkt, was den Kontrast zwischen innerem Wert und äußerem Erfolg betont.

Im Mittelteil des Gedichts setzt die Wendung ein: Die Sprecherin zieht sich in den Wald zurück, wo Natur und Einsamkeit eine reinigende, heilende Wirkung auf sie haben. Der Wald – Sinnbild für Rückzug, Ruhe und ursprüngliche Kraft – öffnet ihr die Augen für den eigentlichen Wert ihrer Dichtung. In einer fast mystischen Erfahrung wird sie von einem „Geist des Friedens“ empfangen, spürt den „unsichtbaren Flügelschlag“ und erlebt eine Wiedergeburt ihres poetischen Schaffens. Ihre Inspiration kehrt zurück, nicht als Antwort auf äußeren Applaus, sondern aus einer inneren Quelle.

Die letzten Strophen kulminieren in einem Bekenntnis zur Poesie als einer Kraft, die keiner Anerkennung bedarf. Die Kunst wird personifiziert als „meine Herrin, Poesie“, eine treue Gefährtin, die selbst in Einsamkeit Trost und Sinn stiftet. In der Abgrenzung zum „Publikum“ wird deutlich: Wahre Kunst braucht keine Bestätigung, solange sie das eigene Herz erfüllt. Das Gedicht endet mit einer feierlichen Absage an Ruhm und Reichtum und einer klaren Entscheidung für die Dichtkunst als inneres Glück und Lebenssinn.

„Im Walde“ ist damit nicht nur ein Naturgedicht, sondern auch ein poetisches Manifest über die Selbstgenügsamkeit der Kunst. Es zeigt, wie kreative Kraft und innerer Frieden im Einklang mit der Natur neu entdeckt werden können – eine tief empfundene Hommage an die Autonomie und Würde des künstlerischen Schaffens.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.