Das Abendrot am Strand
Das Abendrot am Strand hinzieht,
Ergibt den Wellen sich mit Lust,
Da schwellet die beklemmte Brust
Der unbewußten Sehnsucht Lied,
So kühn gewaltig zwingt das Lied
Die Trauer der beklemmten Brust,
In Lebensmut erstrebt sie Lust,
In Liebesflut sie Wolken zieht,
Und weckt in der beklemmten Brust
Der hohen Freiheit kühnes Lied.
Sein voller Klang
Das Herz durchdrang,
Das Lied sich schwang
In Liebesdrang.
Zu ihm, zu dem ich hin verlang,
Dort über die Berge mit der Lerche,
Ihm nach der Hymne zu singen dem Volk,
Dem von seinen Lippen sie sollte erklingen.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Das Abendrot am Strand“ von Bettina von Arnim ist eine lyrische Meditation über die Macht der Sehnsucht, der Liebe und der inneren Freiheit, ausgedrückt in einem Moment intensiver Naturwahrnehmung. Die untergehende Sonne am Strand wird zur Projektionsfläche innerer Bewegung – einer seelischen Erregung, die sich in einem Lied Bahn bricht und das Beklemmende in Mut und Aufbruch verwandelt.
Zentral ist das Wechselspiel zwischen Naturbild und innerem Empfinden: Das Abendrot, das sich „mit Lust“ den Wellen ergibt, löst im lyrischen Ich eine Reaktion aus, die zunächst durch Beklemmung und Sehnsucht geprägt ist. Doch diese Sehnsucht bleibt nicht stumm, sondern formt sich zu einem Lied – einem Ausdruck tiefster Innerlichkeit. Die Wiederholung der „beklemmten Brust“ in Verbindung mit dem „Lied“ verdeutlicht die Spannung zwischen innerem Druck und dem Bedürfnis nach Befreiung.
Das Lied, das entsteht, ist mehr als nur eine Gefühlsäußerung: Es ist ein Akt der Selbstverwandlung. Die Brust, die sich unter Trauer und Sehnsucht fast verschließt, wird durch den Klang „in Lebensmut“ verwandelt. In der „Liebesflut“ erhebt sich sogar ein Streben nach Freiheit – die Liebe wird nicht nur als romantisches Gefühl, sondern als kreative, befreiende Kraft verstanden, die das Individuum über sich hinausheben kann.
In der zweiten Hälfte des Gedichts steigert sich dieses Motiv in eine fast visionäre Bewegung: Das Lied erhebt sich im „Liebesdrang“, getragen von einem tiefen Wunsch nach Vereinigung mit einem Du, das fern ist – „dort über die Berge mit der Lerche“. Diese Zeile verbindet Naturromantik mit dem Motiv der inneren Reise. Das Ziel der Sehnsucht ist nicht nur eine geliebte Person, sondern auch ein Volk, das durch die Liebe inspiriert und belebt werden soll.
So endet das Gedicht mit einem utopischen Ton: Die Hymne der Liebe, geboren aus persönlicher Sehnsucht, soll öffentlich werden, soll „dem Volk“ gelten – als eine Stimme der Hoffnung, der Erhebung und der Verbindung. „Das Abendrot am Strand“ ist somit eine poetische Vision davon, wie individuelle Gefühle zu einer Kraft werden können, die nicht nur das Ich, sondern auch die Welt berührt und verwandelt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.