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Besitz

Von

Großer Garten liegt erschlossen,
Weite schweigende Terrassen:
Müßt mich alle Teile kennen,
Jeden Teil genießen lassen!

Schauen auf vom Blumenboden,
Auf zum Himmel durch Gezweige,
Längs dem Bach ins Fremde schreiten,
Niederwandeln sanfte Neige:

Dann erst komme ich zum Weiher,
Der in stiller Mitte spiegelt,
Mir des Gartens ganze Freude
Träumerisch vereint entriegelt.

Aber solchen Vollbesitzes
Tiefe Blicke sind so selten!
Zwischen Finden und Verlieren
müssen sie als göttlich gelten.

All in einem, Kern und Schale,
Dieses Glück gehört dem Traum
Tief begreifen und besitzen!
Hat dies wo im Leben Raum?

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Besitz von Hugo von Hofmannsthal

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Besitz“ von Hugo von Hofmannsthal beschreibt eine Sehnsucht nach vollkommener Erfassung und Genuss der Schönheit und Fülle des Lebens, dargestellt durch einen Garten. Das Gedicht beginnt mit einer Beschreibung der äußeren Gegebenheiten: einem weitläufigen Garten mit Terrassen, der sich dem Betrachter öffnet und ihn dazu einlädt, jeden Teil zu erkunden und zu genießen. Die ersten beiden Strophen malen ein Bild der sinnlichen Wahrnehmung: die Freude an den Blumen, der Blick zum Himmel durch das Geäst, der Gang am Bach entlang und das sanfte Abwärtswandern. Der Garten wird so zum Inbegriff der sinnlichen Erfahrung und der vielfältigen Möglichkeiten des Lebens.

Die dritte Strophe führt zum Höhepunkt der Erfahrung: dem Weiher, der in seiner stillen Mitte das gesamte Bild des Gartens spiegelt und so die ganze Freude in einem einzigen Moment vereint. Dieser Moment der Vereinigung und des umfassenden Verständnisses wird als „Träumerisch vereint entriegelt“ bezeichnet, was andeutet, dass dieses Verständnis nur durch eine Art von innerer, verträumter Schau möglich ist. Der Weiher steht hier symbolisch für die Möglichkeit, das Gesamte zu erfassen, die Einheit hinter der Vielfalt zu erkennen.

Die letzte Strophe thematisiert die Schwierigkeit, diesen Zustand des vollkommenen Besitzes zu erreichen. Hofmannsthal stellt fest, dass „solchen Vollbesitzes tiefe Blicke“ selten sind. Zwischen dem Finden und Verlieren, also zwischen der Erfahrung und dem Verlust der Erfahrung, liegt etwas Göttliches. Diese Formulierung deutet auf die Flüchtigkeit des Glücks und die Schwierigkeit, es dauerhaft zu halten. Das Gedicht fragt schließlich, ob dieses Glück des „Tief Begreifen“ und „Besitzen“ überhaupt im realen Leben Raum hat.

Die Kernbotschaft des Gedichts ist die Auseinandersetzung mit der menschlichen Sehnsucht nach Ganzheit und dem gleichzeitigen Bewusstsein der Unmöglichkeit, diese vollständig zu erreichen. Der Garten dient als Metapher für das Leben selbst, in all seinen Facetten. Die Schönheit und Fülle des Gartens sind zwar erlebbar, aber die vollkommene, dauerhafte Erfassung bleibt dem Traum vorbehalten. Hofmannsthal reflektiert über die Spannung zwischen der Sehnsucht nach totalem Besitz und der Erkenntnis seiner Unerreichbarkeit, was das Gedicht zu einer tiefgründigen Betrachtung der menschlichen Existenz macht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.