Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , ,

Beim Flachsbrechen

Von

Plauderinnen, regt euch stracks!
Brecht den Flachs,
Daß die Schebe springe,
Und der Brechen Wechselklang
Mit Gesang
Fern das Dorf durchdringe!

Herbstlich rauscht im Fliederstrauch
Kalter Hauch,
Und der Nachttau feuchtet!
Dennoch brecht mit bloßem Arm,
Brecht euch warm,
Weil der Mond uns leuchtet!

Brich, du armer Flachs! Dir droht
Müh und Not,
Mehr denn je du träumtest,
Als du grün im Sonnenschein,
Junger Lein,
Blaue Blumen keimtest!

Ach, die harte Raufe hat
Gleich zur Saat
Dir die Boll entrissen,
Wochenlang dann auf der Au
Sonn und Tau
Röstend dich zerrissen!

Nun zerquetschen wir in Hast
Dir den Bast,
Den die Schwinge reinigt;
Von der bösen Hechel itzt,
Scharfgespitzt,
Wirst du durchgepeinigt!

Doch dann prangst du glatt und schön;
Und wir drehn
Dich in saubre Knocken:
Und getrillt mit flinkem Fuß,
Feucht vom Kuß,
Läufst du uns vom Rocken!

Schnell durch Spul und Haspel eilt,
Schön geknäult,
Drauf dein Garn zur Webe:
Daß die Leinwand, scharf gebeucht,
Und gebleicht,
Hemd und Laken gebe!

Brich, o brich, du armer Flachs!
Weiß wie Wachs,
Prangst du angeschmieget,
Wann beim Bräutigam die Braut,
Warm und traut,
Einst im Bette lieget!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Beim Flachsbrechen von Johann Heinrich Voß

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Beim Flachsbrechen“ von Johann Heinrich Voß zeichnet ein lebendiges Bild des bäuerlichen Lebens und des Prozesses der Flachsbearbeitung, eingebettet in eine poetische Naturstimmung. Es beginnt mit einem Aufruf an die „Plauderinnen“, sich ans Werk zu machen, und etabliert damit sofort einen aktiven, gemeinschaftlichen Kontext. Der rhythmische Klang von „Brecht den Flachs“ und der Wechselklang der Geräte, die durch das Dorf hallen, erzeugen eine Atmosphäre der geschäftigen Betriebsamkeit, die durch die anschließende Naturbeschreibung ergänzt wird.

Die zweite Strophe kontrastiert die kalte, herbstliche Umgebung mit dem Fleiß der Frauen, die unermüdlich arbeiten, während der Mond scheint. Hier wird die harte Arbeit nicht nur als körperliche Anstrengung, sondern auch als eine Form des Trotzes gegen die Unbilden der Natur dargestellt. Die Anrede an den Flachs selbst, im weiteren Verlauf des Gedichts, verleiht dem Werk eine poetische Intensität und lässt eine tiefe Verbundenheit zwischen den Frauen und dem Rohmaterial erahnen. Die Personifizierung des Flachses verstärkt die Dramatik und das Verständnis des Leidens des Flachses.

In den folgenden Strophen wird der harte Weg des Flachses von der Saat bis zur Verarbeitung detailliert geschildert. Von der „harten Raufe“ über das „Rösten“ bis hin zum Durchpeinigen mit der Hechel, spiegelt sich das Schicksal des Flachses in der mühsamen Arbeit, die die Frauen verrichten. Gleichzeitig wird die Hoffnung auf das zukünftige Ergebnis, das in reinem, schönem Leinen besteht, hervorgehoben. Diese Spannung zwischen dem gegenwärtigen Leid und der künftigen Schönheit ist ein zentrales Thema des Gedichts.

Das Gedicht gipfelt in der Vision der fertigen Leinwand, die zur Herstellung von Kleidung, insbesondere von Hemden und Laken, dient. Der abschließende Vers, in dem der Flachs als „weiß wie Wachs“ beschrieben wird und in dem die Vorstellung des Brautpaares im Bett auftaucht, verleiht dem Gedicht eine tiefe symbolische Bedeutung. Die mühsame Arbeit und das Leiden des Flachses finden ihren Höhepunkt in der Erschaffung eines Objekts der Schönheit und Geborgenheit, das im Kontext der Ehe eine besondere Bedeutung hat. Der Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt, von Arbeit und Freude wird in Voß’ Gedicht auf poetische Weise erfahrbar.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.