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Der Nöck

Von

Es tönt des Nöcken Harfenschall:
Da steht sogar still der Wasserfall,
Umschwebt mit Schaum und Wogen
Den Nöck im Regenbogen.
Die Bäume neigen
Sich tief und schweigen,
Und atmend horcht die Nachtigall.-

„O Nöck, was hilft das Singen dein?
Du kannst ja doch nicht selig sein!
Wie kann dein Singen taugen?“
Der Nöck erhebt die Augen,
Sieht an die Kleinen,
Beginnt zu weinen…
Und senkt sich in die Flut hinein.

Da rauscht und braust der Wasserfall,
Hoch fliegt hinweg die Nachtigall,
Die Bäume heben mächtig
Die Häupter grün und prächtig.
O weh, es haben
Die wilden Knaben
Der Nöck betrübt im Wasserfall!

„Komm wieder, Nöck, du singst so schön!
Wer singt, kann in den Himmel gehn!
Du wirst mit deinem Klingen
Zum Paradiese dringen!
O komm, es haben
Gescherzt die Knaben:
Komm wieder, Nöck, und singe schön!“

Da tönt des Nöcken Harfenschall,
Und wieder steht still der Wasserfall,
Umschwebt mit Schaum und Wogen
Den Nöck im Regenbogen.
Die Bäume neigen
Sich tief und schweigen,
Und atmend horcht die Nachtigall. –

Es spielt der Nöck und singt mit Macht
Von Meer und Erd und Himmelspracht.
Mit Singen kann er lachen
Und selig weinen machen!
Der Wald erbebet,
Die Sonn entschwebet…
Er singt bis in die Sternennacht!

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Gedicht: Der Nöck von August Kopisch

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Nöck“ von August Kopisch thematisiert die Macht der Musik und Poesie, die in der Gestalt des mythischen Wassergeistes Nöck verkörpert wird. In einer märchenhaften, fast mystischen Szenerie wird der Nöck als Musiker zwischen Natur und Gefühl dargestellt, dessen Harfenspiel eine tiefgreifende Wirkung auf die Welt um ihn herum hat. Die Natur wird dabei nicht nur Kulisse, sondern selbst zum empfindsamen Resonanzraum für die Kraft der Kunst.

Schon in der ersten Strophe wird diese Wirkung eindrucksvoll beschrieben: Der Wasserfall steht still, die Bäume neigen sich, und sogar die Nachtigall verstummt – Zeichen dafür, dass die Musik des Nöck über die natürlichen Rhythmen hinausgeht und eine fast überirdische Qualität besitzt. Doch dieser Moment der Harmonie wird gestört: Spöttische Knaben zweifeln an seiner Fähigkeit zur Seligkeit, woraufhin der Nöck traurig verstummt und in die Tiefe verschwindet. Diese Szene verbindet kindlichen Spott mit einer fast tragischen Verletzlichkeit des Künstlers.

In der Reaktion der Natur auf sein Verschwinden – der wieder einsetzende Wasserfall, das Auffliegen der Nachtigall – spiegelt sich die Erschütterung über den Verlust der Musik. Erst nachdem die Knaben ihren Spott bereuen und den Nöck zurückrufen, beginnt er erneut zu spielen. Diese Versöhnung deutet darauf hin, dass wahre Kunst Anerkennung braucht, um wirken zu können, aber auch, dass sie trotz Verletzung zurückkehren kann, wenn ihr Raum gegeben wird.

Die letzte Strophe steigert die Wirkung des Nöck’schen Spiels ins Kosmische: Er singt nicht nur von Meer, Erde und Himmel, sondern bringt mit seiner Kunst auch Emotionen hervor – er „kann lachen und selig weinen machen“. Seine Musik lässt den Wald erbeben, selbst die Sonne entschwindet, und er spielt bis in die „Sternennacht“. So wird das Singen zum Symbol schöpferischer Kraft, die über Zeit und Raum hinausreicht.

„Der Nöck“ ist somit eine poetische Würdigung der Kunst als übernatürliche, heilende und bewegende Macht. Die Figur des Nöck vereint Melancholie, Schönheit und Sehnsucht – sein Harfenspiel wird zum Ausdruck eines tieferen Verständnisses für das Verborgene und Wunderbare in der Welt. Kopisch gelingt es, in wenigen Strophen eine dichte, gefühlvolle Atmosphäre zu erschaffen, in der Natur und Gefühl, Mythos und Menschlichkeit auf eindrucksvolle Weise miteinander verwoben sind.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.