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Auf die Leiche eines Regenten

Von

Seyd ihr, Götter dieser Erde,
Seyd ihr Menschenstaub, wie wir?
O! so zittert! Der Gefährte
Eurer Größe lieget hier.
Steigt von goldnen Stufen nieder
Zu den Särgen eurer Brüder;
Denkt beim Leichenpompe heut
Auch an eure Sterblichkeit.

Habt ihr, wenn der junge Waise,
Vor euch klagte, auch gehört?
Und den fetten Bauch vom Schweiße
Einer Wittwe nie genährt?
Seyd ihr willig, reiche Sklaven
Schwarzer Laster zu bestrafen?
Helft ihr auch dem Tugendfreund,
Wann er hülflos vor euch weint?

Fröhnt ihr selber nicht den Lüsten,
Die ihr scharf an andern straft?
Seyd ihr Bürger, seyd ihr Christen?
Seyd ihr weis′ und tugendhaft?
Sieht man nie von stolzen Höhen
Euch verächtlich niedersehen?
Kennt ihr eure Ritterpflicht?
O! so kommt, und zittert nicht.

Denn hier schlummert ein Regente,
Der Verlaß′nen Gutes that,
Und die richterlichen Hände
Nie mit Blut gefärbet hat;
Der auf Lasterthaten blitzte
Und der Wittwen Recht beschützte;
Der dem Waisen und der Noth
Willig seine Hände bot.

Unpartheyisch, wie der Sonne
Warmer, segenschwangrer Strahl,
Der den Eichen strömet Wonne,
Wie dem Veilchen in dem Thal,
Strahlt′ von seines Stuhles Höhen
Allgemeines Wohlergehen
In der Reichen Marmorhaus,
Wie in arme Hütten aus.

Noch in halbentnervten Händen
Trug er den Regentenstab,
Und das Schwert an schlaffen Lenden,
Das Gerechtigkeit ihm gab.
Und, wie Helden, wenn sie sterben,
Sprach er, ohne zu entfärben:
Gott, hier ist die schwere Last,
Die du mir vertrauet hast.

Aufgelöst in Thränen schwanken
Arme hinter seiner Bahr;
Stimmen der Verlaßnen danken
Ihm, der ihre Stütze war.
Goldne Zierde deines Standes,
Vater unsers Vaterlandes,
Unser unerkauftes Ach!
Fliege deiner Seele nach.

Große, hebt die Angesichter
Ueber jene Sternenbahn!
Dorten trefft ihr euren Richter,
Wie der ärmste Bettler, an;
Ihn, vor dessen Ungewittern
Auch der Cedern Wipfel zittern.
Drum so übt noch in der Zeit
Tugend und Gerechtigkeit.

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Gedicht: Auf die Leiche eines Regenten von Christian Friedrich Daniel Schubart

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Auf die Leiche eines Regenten“ von Christian Friedrich Daniel Schubart ist eine bewegende Elegie, die sowohl die Trauer über den Tod eines gerechten Herrschers als auch eine allgemeine Reflexion über Macht, Sterblichkeit und Tugend beinhaltet. Der Autor konfrontiert die Lebenden, insbesondere die Mächtigen, mit der Vergänglichkeit und der Notwendigkeit, Tugend walten zu lassen.

In den ersten drei Strophen ruft Schubart die „Götter dieser Erde“, also die Herrscher und Mächtigen, zur Selbstreflexion auf. Er stellt ihnen Fragen über ihr Verhalten gegenüber den Schwachen und Benachteiligten. Ermahnt sie, sich ihrer Sterblichkeit bewusst zu werden und ihre Handlungen zu hinterfragen. Durch rhetorische Fragen wie „Habt ihr, wenn der junge Waise, / Vor euch klagte, auch gehört?“ und „Fröhnt ihr selber nicht den Lüsten, / Die ihr scharf an andern straft?“ werden die Leser direkt angesprochen und zur Selbstkritik aufgerufen. Der Dichter fordert sie auf, ihre Verantwortung wahrzunehmen und sich nach Tugend und Gerechtigkeit auszurichten.

Die darauffolgenden Strophen widmen sich der Beschreibung des verstorbenen Regenten. Schubart zeichnet ein Bild eines Herrschers, der seine Macht zum Wohle seiner Untertanen einsetzte. Er lobt dessen Gerechtigkeitssinn, seine Fürsorge für die Schwachen und sein Engagement für das Gemeinwohl. Der Regent wird als Vorbild dargestellt, der im Gegensatz zu den lebenden Herrschern die Ideale von Gerechtigkeit und Tugend verkörperte. Die Sprache ist pathetisch und ehrend, was die Trauer und Bewunderung des Dichters widerspiegelt.

Die abschließenden Strophen intensivieren die Trauer und richten sich an den Verstorbenen. Schubart beschreibt die Reaktion des Volkes, das in Trauer und Dankbarkeit Abschied nimmt. Er ruft die Herrscher auf, ihre Gesichter zu erheben und über die „Sternenbahn“ hinaus zu blicken, wo sie vor ihrem göttlichen Richter Rechenschaft ablegen müssen. Die abschließende Mahnung, in der verbleibenden Zeit Tugend und Gerechtigkeit zu praktizieren, unterstreicht die zentrale Botschaft des Gedichts: Die Macht ist vergänglich, und nur Tugend und Gerechtigkeit bleiben von Bestand.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Schubarts Gedicht eine Mahnung an die Mächtigen darstellt, ihre Verantwortung für das Wohl des Volkes wahrzunehmen und sich ihrer Sterblichkeit bewusst zu werden. Es ist eine Hommage an einen gerechten Herrscher und eine eindringliche Aufforderung, Tugend und Gerechtigkeit als grundlegende Werte des menschlichen Handelns zu betrachten. Die Elegie verbindet Trauer, Lob und eine moralische Botschaft auf eindrucksvolle Weise.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.