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Audubon

Von

Mann der Wälder, der Savannen!
Neben rother Indier Speer,
An des Missisippi Tannen
Lehntest du dein Jagdgewehr;

Reichtest Indianergreisen
Deine Pfeife, deinen Krug;
Sahst der Wandertaube Reisen
Und des Adlers stillen Flug;

Lähmtest ihren schnellen Flügel
Mit der Kugel, mit dem Schrot;
Auf der großen Flüsse Spiegel
Durch die Wildniß schwamm dein Boot;

Kühn durchflogst du der Savanna
Gräser, im gestreckten Trab;
Beer′ und Wildpret war das Manna,
So dir Gott zur Speise gab;

In den Wäldern, in der Oede,
Die der Thoren Ruhm: Cultur,
Noch nicht überzog mit Fehde,
Freu′test du dich der Natur.

Du noch konntest es! – die Stunde
Kommt – nicht fern mehr ist die Zeit! –
Wo das Land von Baffin′s Sunde
Bis Cap Horn ein ander Kleid

Tragen wird! – Sieh′ da: du reiche,
Waldige Columbia,
Liegst du nicht gleich einer Eiche
Auf dem Planiglobe da?

Aus des Südens kalten Meeren
Wächst der mächt′ge Stamm hervor;
Schlängelnd ziehn die Cordilleren –
Epheu! – sich an ihm empor.

Hoch im Norden in die Breite
Geht er, wenig mehr belaubt;
An den Pol rührt das beschneite,
Eisbehangne, starre Haupt.

Hirsche ruhn in seinem Schatten,
An Geflügel ist er reich,
Und der Indier Hangematten
Schweben nieder vom Gezweig.

Grün und üppig prangt der Starke;
Doch bald steht er ohne Zier;
Denn an seiner Blätter Marke
Zehrt der Wanderraupe Gier.

Nadowessier, Tschippawäer,
Heult den Kriegsruf, werft den Speer!
Schüttelt ab die – Europäer!
Schüttelt ab das Raupenheer!

Seit in eure Hirschfellhütten
Trat des Meeres kluger Sohn,
Ist die Reinheit eurer Sitten,
Ist das Glück von euch geflohn.

Weh′, daß ihr ihn nicht verscheuchtet,
Da er Land von euch erfleht!
Weh′, daß ihr ihm arglos reichtet
Das geschmückte Kalumet!

Nieder brennt er eure wilden
Wälder, nimmt von euch Tribut,
Spült von euren Lederschilden
Der erschlagnen Feinde Blut;

Saus′t einher auf Eisenbahnen,
Wo getobt der Rothen Kampf;
Bunt von Wimpeln und von Fahnen,
Theilt sein Schiff den Strom durch Dampf.

Kahl und nüchtern jede Stätte!
Wo Manitto′s hehrer Hauch
Durch des Urwalds Dickicht wehte,
Zieht der Hammerwerke Rauch.

Euer Wild wird ausgerottet,
Siech gemacht wird euer Leib,
Euer großer Geist verspottet,
Und geschändet euer Weib.

Bietet Trotz, ihr Tättowirten,
Eurer Feindin, der Cultur!
Knüpft die Stirnhaut von skalpirten
Weißen an des Gürtels Schnur!

Zürnend ihren Missionären
Aus den Händen schlagt das Buch;
Denn sie wollen euch bekehren,
Zahm, gesittet machen, klug!

Weh′, zu spät! was hilft euch Säbel,
Tomahawk und Lanzenschaft? –
Alles glatt und fashionable!
Doch wo – Tiefe, Frische, Kraft?

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Gedicht: Audubon von Ferdinand Freiligrath

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Audubon“ von Ferdinand Freiligrath ist eine kraftvolle Kritik an der Zerstörung der Natur und der indigenen Lebensweise durch die europäische Kolonialisierung Amerikas. Es ist sowohl eine Hommage an den Naturforscher John James Audubon als auch eine ergreifende Klage über den Verlust der Wildnis und die Unterdrückung der Ureinwohner.

In den ersten Strophen wird Audubon als ein Mann der Natur dargestellt, der im Einklang mit den Indianern und der Tierwelt lebt. Das Gedicht beschreibt seine Jagd, seine Freundschaft mit den Ureinwohnern und seine Bewunderung für die unberührte Landschaft. Freiligrath idealisiert Audubon als einen Naturliebhaber, der die Schönheit und Freiheit der Wildnis zu schätzen wusste, bevor die Zivilisation diese zerstörte. Die detaillierten Beschreibungen der Natur und der Indianer lassen eine Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und Unberührten erkennen.

Der Hauptteil des Gedichts wandelt sich in eine düstere Prophezeiung und Anklage der Kolonialisierung. Freiligrath beschreibt die Zerstörung der Wälder, die Ausrottung der Wildtiere und die Verdrängung der Indianer durch die Europäer. Er verwendet metaphorische Bilder, um die Ausbreitung der Zivilisation als einen zerstörerischen Prozess darzustellen, der die Natur „kahl“ und „nüchtern“ macht. Die „Wanderraupe“, die die Blätter des Baumes frisst, symbolisiert die Europäer, die das Land ausbeuten und die indigene Bevölkerung unterdrücken.

Das Gedicht endet mit einem Appell an die Indianer, sich gegen die Kolonisatoren zu wehren. Freiligrath ermutigt sie, ihren Widerstand zu zeigen, ihre Traditionen zu verteidigen und die Europäer abzuwehren. Die letzten Zeilen sind jedoch von Resignation geprägt, da er die Unvermeidlichkeit des Untergangs der indigenen Kultur andeutet. Die Frage nach der „Tiefe, Frische, Kraft“ im Gegensatz zu der „glatt und fashionable“ Kultur der Europäer unterstreicht die Kritik an der Oberflächlichkeit und dem Verlust von Werten durch die Kolonialisierung. Das Gedicht ist somit eine eindringliche Mahnung, die die Verwüstung, die die menschliche Zivilisation über die Natur und die indigenen Völker gebracht hat, anprangert und die Frage nach den wahren Werten des Lebens aufwirft.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.