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An Richard Wagner

Von

8. Februar 1873.

Die nüchterne Spree hat sich berauscht
Und ihren Verstand verloren;
Andächtig hat Dir Berlin gelauscht
Mit großen, und kleinen Ohren.

Viel Gnade gefunden hat Dein Spiel
Beim gnädigen Landesvater,
Nur läßt ihm der Bau des Reichs nicht viel
Mehr übrig für Dein Theater.

Wärst Du der lumpigste General,
So würd‘ man belohnen Dich zeusisch;
Genügen laß Dir für dieses Mal
Dreihundert Thälerchen preußisch.

Ertrage heroisch dies Mißgeschick
Und mache Dir klar, mein Bester,
Die einzig wahre Zukunftsmusik
Ist schließlich doch Krupps Orchester.

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Gedicht: An Richard Wagner von Georg Herwegh

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An Richard Wagner“ von Georg Herwegh, verfasst am 8. Februar 1873, ist eine bissige Satire auf den Komponisten Richard Wagner und die politische und gesellschaftliche Situation im Deutschland jener Zeit, insbesondere in Preußen.

Herwegh beginnt mit einer ironischen Beschreibung Berlins, das „andächtig“ Wagners Musik gelauscht hat. Die „nüchterne Spree“, ein Symbol für die Realität, ist „berausscht“, was die Begeisterung des Publikums andeutet und gleichzeitig die Künstlichkeit und den Rausch der Kunst selbst thematisiert. Die Zeile spielt mit den Begriffen „Verstand“ und „Berauschung“, um die vermeintliche Unfähigkeit der Gesellschaft darzustellen, Kunst objektiv zu beurteilen. Die „großen, und kleinen Ohren“ des Publikums verweisen auf die breite Akzeptanz Wagners, von der Elite bis zum einfachen Volk.

In den folgenden Strophen wird die Beziehung zwischen Wagner und dem preußischen Staat unter die Lupe genommen. Der „gnädige Landesvater“ (vermutlich Kaiser Wilhelm I.) findet „viel Gnade“ in Wagners Spiel, was auf die staatliche Unterstützung hindeutet. Allerdings beklagt der Dichter, dass der „Bau des Reichs“ – die militärische und politische Konsolidierung des Deutschen Reiches – dem Theater Wagners finanzielle Mittel entzieht. Die folgende Zeile ist von beißendem Spott geprägt: „Wärst Du der lumpigste General, / So würd‘ man belohnen Dich zeusisch“. Herwegh deutet an, dass der Staat Militär und politische Macht höher bewertet als Kunst, selbst wenn diese Kunst von solch herausragender Bedeutung ist wie die Wagners.

Der abschließende Teil des Gedichts ist eine zynische Pointe. Herwegh rät Wagner, sein „Mißgeschick“ „heroisch“ zu ertragen, und prophezeit, dass die wahre „Zukunftsmusik“ nicht Wagners Musik, sondern „Krupps Orchester“ sei. Krupp war ein bedeutender Industrieller, dessen Unternehmen Rüstungsgüter produzierte. Diese Zeile ist eine harsche Kritik am Militarismus und Materialismus der preußischen Gesellschaft, die Kunst und Geist zugunsten von Macht und Kriegswirtschaft vernachlässigt. Das Gedicht ist somit eine Spiegelung der politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen im jungen Deutschen Reich, das sich im Aufstieg zur Weltmacht befand, aber gleichzeitig mit Fragen nach den Werten und Prioritäten der Gesellschaft konfrontiert wurde.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

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