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An eine schöne Erscheinung am Dreikönigstage

Von

Nicht allen war der Himmel gleich geneigt,
Und jeglichem ist andre Pflicht gegeben,
Wie mancher betet an, wie manche Lippe schweigt,
Der andere darf nur die Blicke heben.
Der König Gold, der Weise Myrrhen reicht,
Und Weihrauchwolken läßt der Melchior schweben.
Der Kinder Lallen und der Liebe Stammeln,
Des Sängers Lied muß sich zum Dienste sammeln.

Es hat der Herr sich eine Welt erbaut,
Er hat sie mit der Schönheit ausgeschmücket,
Er hat sie dem Gesetze anvertraut,
Sein Siegel auf des Menschen Stirn gedrücket.
O selig, wer in solche Augen schaut,
Die solche Seligkeit der Welt entzücket,
Ihm ist der Herr, ihm ist das Reich erschienen,
Er weiß, er weiß, wo′s lieblich ist zu dienen.

Wie gütig ist der Herr, der überall.
Da wo ich bin, da will er mir erscheinen,
Und wo ich sing, grüßt ihn der Silben Hall,
Und wo ich denke, kann ich ihn nur meinen,

Ihn lob ich lachend mit der Freude Schall,
Ihn ehrt der Trauer still bescheidnes Weinen.
Und was mich rührte, darf ich stolz auch singen,
Denn nur zu ihm erheben sich die Schwingen.

Mir ward ein Aug, was herrlich ist, zu sehen,
Ein Herz ward mir, was würdig ist, zu hegen,
Die Sonne will mir auf- und untergehen,
Der Anmut geh ich treu und fromm entgegen;
Vor dir, du schöner Mensch, mag gern ich stehen,
Dir, mir zulieb nicht, nein, nur Gottes wegen.
Sei irdisch Himmel mir, und himmlich Erde,
Daß Freundesdienst ein Gottesdienst mir werde.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: An eine schöne Erscheinung am Dreikönigstage von Clemens Brentano

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An eine schöne Erscheinung am Dreikönigstage“ von Clemens Brentano ist eine feierliche Betrachtung über die Schönheit, die Liebe und die göttliche Präsenz in der Welt. Es beginnt mit einer Feststellung der Vielfalt menschlicher Erfahrungen und Pflichten, wobei die Gaben der Weisen am Dreikönigstag als Metaphern für unterschiedliche Ausdrucksformen der Verehrung dienen. Der Dichter hebt hervor, dass nicht jeder auf gleiche Weise Zugang zum Göttlichen hat, aber dass alle, sei es durch Gebete, Schweigen oder das Erheben des Blicks, einen Weg der Annäherung finden können. Die einleitenden Strophen etablieren somit eine universelle Perspektive, die die spätere Widmung an die „schöne Erscheinung“ vorbereitet.

Die zweite Strophe vertieft die Thematik der Schöpfung und der Schönheit als Ausdruck der göttlichen Absicht. Brentano beschreibt, wie Gott die Welt erschaffen und sie mit Schönheit geschmückt hat, wobei das „Siegel“ auf der Stirn des Menschen auf das Bewusstsein der eigenen Existenz und die Verantwortung für die Erhaltung dieser Schöpfung hinweist. Die Anrede „O selig, wer in solche Augen schaut“ lenkt die Aufmerksamkeit auf die „schöne Erscheinung“, die zum Objekt der Verehrung und zum Spiegelbild der göttlichen Herrlichkeit wird. Diese Zeilen implizieren, dass die Schönheit des Menschen eine Manifestation des Göttlichen ist, was die tiefe emotionale und spirituelle Verbindung des Dichters mit der angesprochenen Person erklärt.

In der dritten Strophe offenbart sich die intime Beziehung des Dichters zu Gott, der an allen Orten gegenwärtig ist und sich dem Gläubigen offenbart. Die Zeilen „Da wo ich bin, da will er mir erscheinen“ und „Und wo ich sing, grüßt ihn der Silben Hall“ unterstreichen die Allgegenwart Gottes. Der Dichter drückt seine Dankbarkeit und Liebe aus, sowohl durch Freude als auch durch Trauer, und erkennt an, dass alles, was ihn bewegt, eine Form der Anbetung ist. Dies deutet auf eine persönliche und innige Beziehung zum Göttlichen hin, die durch die Schönheit der Welt und der menschlichen Erfahrung vertieft wird.

Die abschließende Strophe ist eine Huldigung an die „schöne Erscheinung“. Der Dichter drückt seine Dankbarkeit für die Gabe des Sehens und Fühlens aus und bekundet seine Hingabe an die Anmut. Er betont, dass seine Verehrung der Schönheit nicht egoistisch motiviert ist, sondern Gott dient. Die letzten beiden Zeilen „Sei irdisch Himmel mir, und himmlich Erde, / Daß Freundesdienst ein Gottesdienst mir werde“ fassen das zentrale Anliegen des Gedichts zusammen. Die Verschmelzung von irdischer und himmlischer Realität, von Freundesdienst und Gottesdienst, unterstreicht die Idee, dass die Liebe und die Schönheit des Menschen eine Form der Anbetung darstellen und das Irdische mit dem Göttlichen verbindet. Das Gedicht wird so zu einer Hymne auf die göttliche Präsenz in der Welt und in der menschlichen Erfahrung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.