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An die Freiheit 1823

Von

Was mir so leise einst die Brust durchbebte,
Als ich zuerst zum Jüngling war erwacht,
Was sich so hold in meine Träume webte,
Ein lieblich Bild aus mancher Frühlingsnacht;
Und was am Morgen klar noch in mir lebte,
Was dann, zur lichten Flamme angefacht,
Mit kühner Ahnung meine Seele füllte –
Es wären nur der Täuschung Luftgebilde?

Was ich geschaut im großen Buch der Zeiten,
Wenn ich der Völker Schicksal überlas,
Was ich erkannt, wenn ich die Sternenweiten
Der Schöpfung mit dem trunknen Auge maß,
Was ich gefühlt bei meines Volkes Leiden,
Wenn sinnend ich am stillen Hügel saß –
Ich fühle es an meines Herzens Glühen,
Es war kein Traumbild eitler Phantasien!

Du, stille Nacht, und du, o meine Laute!
Nur euch, ihr Trauten, hab ich es gesagt;
Ertönt′s noch einmal, was ich euch vertraute,
Erzählt′s dem Abendhauch, was ich geklagt,
O sagt′s ihm, was ich fühlte, was ich schaute,
Und was mein ahnend Herz zu hoffen wagt:
O Freiheit, Freiheit! dich hab ich gesungen,
Und meiner Ahnung Lied hat dir geklungen!

Die müde Sonne ist hinabgegangen,
Der Abendschein am Horizont zerrinnt,
Doch du, o Freiheit, spielst um meine Wangen,
Stiegst du hernieder mit dem Abendwind?
Nach dir, nach dir ringt heißer mein Verlangen,
Ich fühl′s, du schwebst um mich, so mild, so lind –
O weile hier, wirf ab die Adlerflügel!
Du schweigst? du meidest ewig Deutschlands Hügel?

Wohl lange ist′s, seit du so gerne wohntest
Bei unsern Ahnen in dem düstern Hain;
Dünkt dir, wie gern du auf den Bergen throntest
Vom eis′gen Belt bis an den alten Rhein?
Mit Eichenkränzen deine Söhne lohntest?
Das schöne Land soll ganz vergessen sein?
Noch denkst du sein; es wird dich wiedersehen,
Wird auch dein Geist dann längst mein Grab umwehen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: An die Freiheit 1823 von Wilhelm Hauff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An die Freiheit 1823“ von Wilhelm Hauff ist eine leidenschaftliche Ode an die Freiheit, die von tief empfundener Sehnsucht, aber auch von Ungewissheit und Enttäuschung geprägt ist. Der Dichter reflektiert über seine jugendlichen Ideale und die Erfahrungen, die seine Sehnsucht nach Freiheit geformt haben. Er hinterfragt, ob diese Ideale, die ihn einst so stark erfüllten, nur Illusionen waren, die sich in der Realität nicht bewahrheiten. Das Gedicht drückt somit die Ambivalenz aus, die zwischen der Hoffnung auf Freiheit und der Ernüchterung durch die Realität des politischen Umfelds in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert besteht.

Hauff verwendet eine Reihe von Bildern, um die Intensität seiner Gefühle zu vermitteln. In den ersten beiden Strophen beschreibt er, wie die Freiheit als ein Gefühl in ihm erwachte, sich in seinen Träumen manifestierte und seine Seele erfüllte. Die Metaphern der „lichten Flamme“ und des „großen Buchs der Zeiten“ deuten auf ein tiefes Verständnis und eine tiefe Verbundenheit mit dem Freiheitsgedanken hin. Die Erwähnung der Leiden seines Volkes unterstreicht die politische Dimension seiner Sehnsucht und die Hoffnung auf eine Veränderung. Der Dichter bekennt sich zu seinen Idealen und bekräftigt, dass es sich nicht um „Traumbilder eitler Phantasien“ handelt.

Die dritte und vierte Strophe enthüllen eine intime Kommunikation mit der Nacht und seiner Laute. Diese bilden eine vertraute Umgebung, in der er seine Gefühle, Hoffnungen und Sehnsüchte ausspricht. Er bittet sie, seine Klagelieder weiterzutragen und seine Hoffnungen zu verkünden. In der vierten Strophe erfährt die Sehnsucht nach der Freiheit eine konkrete Gestalt. Der Dichter spricht die Freiheit direkt an, als ob sie eine reale Person wäre. Er fühlt ihre Nähe, spürt ihren sanften Einfluss, fragt sich aber auch, ob sie bleiben wird, oder Deutschland verlassen muss. Die Frage, ob die Freiheit die „Adlerflügel“ abwirft, zeugt von der Hoffnung, dass die Freiheit im Land bleiben, und sich dauerhaft etablieren könnte.

Die letzten Strophen, insbesondere die fünfte, sind von Wehmut und Erinnerung an die Vergangenheit geprägt. Hauff erinnert an die Zeit, als die Freiheit in Deutschland „so gerne wohnte“ und seine „Söhne“ mit „Eichenkränzen“ belohnte. Die Frage, ob das „schöne Land“ vergessen sein soll, drückt eine gewisse Verzweiflung aus, deutet aber auch auf die Hoffnung auf eine Wiederkehr der Freiheit hin. Das letzte Vers, in dem der Dichter bekennt, dass die Freiheit ihn auch nach seinem Tod begleiten wird, unterstreicht die tiefe Überzeugung und die ewige Bedeutung des Freiheitsgedankens in seinem Leben. Das Gedicht ist somit ein Zeugnis für die anhaltende Kraft und die ewige Suche nach Freiheit.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.