An Anna
Lange harrt′ ich, aber endlich breiten
Auseinander sich des Fensters Flügel
Und an seinem weißen Kreuze stehs du,
Berg und Tal ein stiller Friedensengel.
Vöglein ziehen nah′ an dir vorüber,
Täublein sitzen auf dem nahen Dache,
Kommt der Mond und kommen alle Sterne,
Blicken all′ dir keck ins blaue Auge.
Steh′ ich einsam in der Ferne,
Habe keine Flügel hinzufliegen,
Habe keine Strahlen hinzusenden,
Steh′ ich einsam in der Ferne!
Gehst du, sprech′ ich mit verhaltnen Tränen
Ruhet süß ihr lieben Augen,
Ruhet süß ihr weißen Lilien,
Ruhet süß ihr lieben Hände.
Sprechen′s nach die Stern′ am Himmel,
Sprechen′s nach des Tales Blumen,
Weh! o Weh!
Du hast es nicht vernommen.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „An Anna“ von Justinus Kerner ist ein Ausdruck romantischer Sehnsucht und unerwiderter Liebe. Es beschreibt die Beobachtung einer geliebten Person, Anna, aus der Ferne und die damit einhergehenden Gefühle von Bewunderung, Isolation und Trauer. Der Dichter visualisiert Anna als eine Erscheinung der Ruhe und des Friedens, eingebettet in eine idyllische Naturlandschaft, die sie zu umgeben scheint.
In den ersten beiden Strophen wird Anna als eine fast überirdische Figur dargestellt. Ihre Erscheinung am Fenster wird mit einem „stillen Friedensengel“ verglichen, was ihre friedliche und erhabene Natur hervorhebt. Die Natur, in Form von Vögeln, Tauben, dem Mond und den Sternen, scheint ihre Nähe zu suchen und sie zu beobachten. Diese Szenen evozieren ein Gefühl der Harmonie und Schönheit, in der Anna den zentralen Mittelpunkt darstellt. Der Dichter scheint in diesem Moment die Welt durch Annas Augen zu betrachten, wobei er von ihrer Schönheit und Unnahbarkeit gleichermaßen fasziniert ist.
Die dritte Strophe offenbart die schmerzliche Erkenntnis der Distanz und des Unvermögens des Dichters, Anna nahe zu kommen. Er steht „einsam in der Ferne“ und hat weder die Flügel, um zu ihr zu fliegen, noch die Strahlen, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Diese Verse sind von großer Melancholie geprägt, die das Gefühl der Trennung und der Unfähigkeit, die Sehnsucht zu stillen, verstärkt. Die Wiederholung der Phrase „Steh ich einsam in der Ferne!“ unterstreicht die Isolation und die Hoffnungslosigkeit seiner Situation.
Die abschließenden Strophen drücken die tiefe Trauer und das innige Verlangen des Dichters aus. Er verabschiedet sich von Anna, indem er ihre „lieben Augen“, ihre „weißen Lilien“ (die Hände) und ihre „lieben Hände“ segnet und ihnen Ruhe wünscht. Diese Abschiedsformel, begleitet von verhaltenen Tränen, zeigt die tiefe Zuneigung und den Respekt des Dichters. Die Natur, in Form von Sternen und Blumen, wiederholt seine Worte, jedoch ohne dass Anna sie vernehmen kann. Das abschließende „Weh! o Weh! Du hast es nicht vernommen.“ verstärkt die Tragik der unerwiderten Liebe und die Sinnlosigkeit des Schmerzes, da Anna seine Gefühle nie erfahren wird.
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Lizenz und Verwendung
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