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Am Walde

Von

Am Waldsaum kann ich lange Nachmittage,
Dem Kukuk horchend, in dem Grase liegen;
Er scheint das Tal gemaechlich einzuwiegen
Im friedevollen Gleichklang seiner Klage.

Da ist mir wohl, und meine schlimmste Plage,
Den Fratzen der Gesellschaft mich zu fuegen,
Hier wird sie mich doch endlich nicht bekriegen,
Wo ich auf eigne Weise mich behage.

Und wenn die feinen Leute nur erst daechten,
Wie schoen Poeten ihre Zeit verschwenden,
Sie wuerden mich zuletzt noch gar beneiden.

Denn des Sonetts gedraengte Kraenze flechten
Sich wie von selber unter meinen Haenden,
Indes die Augen in der Ferne weiden.

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Gedicht: Am Walde von Eduard Mörike

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Am Walde“ von Eduard Mörike beschreibt die Sehnsucht nach Ruhe und die Flucht aus den Zwängen der Gesellschaft. Es beginnt mit der idyllischen Szene am Waldsaum, wo der Dichter im Gras liegt und dem Kuckucksruf lauscht. Dieser Ruf, der als „friedevoller Gleichklang seiner Klage“ beschrieben wird, wiegt das Tal ein und schafft eine Atmosphäre der Harmonie und des Friedens. Die Natur wird hier als ein Ort der Geborgenheit und des Trostes dargestellt, der den Kontrast zur „Fratzen der Gesellschaft“ verstärkt.

Der zweite Teil des Sonetts widmet sich der Gegenüberstellung von Natur und Gesellschaft. Die „schlimmste Plage“ des Dichters ist es, sich den Konventionen und den „Fratzen“ der Gesellschaft unterzuordnen. Im Wald, in der Einsamkeit und der Stille, findet er die Freiheit, sich selbst zu sein und seinen eigenen Interessen nachzugehen. Diese Abkehr von den gesellschaftlichen Zwängen wird durch die Feststellung untermauert, dass die Gesellschaft ihn hier nicht „bekriegen“ kann, wo er sich auf seine „eigne Weise behagt“. Die Betonung des „Eignen“ unterstreicht die individuelle Selbstfindung und die Ablehnung von Konformität.

Im abschließenden Sextett erfolgt eine ironische Wendung. Mörike sinniert über die Wertschätzung der Poesie und die Haltung der feinen Gesellschaft. Die „feinen Leute“, die möglicherweise die Poeten und ihre vermeintlich sinnlose Zeitvertreibung missbilligen, würden ihn letztlich „gar beneiden“, wenn sie verstünden, wie schön es ist, seine Zeit der Dichtkunst zu widmen. Die letzten drei Zeilen offenbaren die Leichtigkeit und den Schaffensdrang des Dichters, der Sonette wie von selbst „flechtet“, während seine Augen in die Ferne schweifen. Dies deutet auf eine Inspiration durch die Natur und die Fähigkeit, in der Ruhe der Einsamkeit kreative Werke zu schaffen.

Insgesamt ist „Am Walde“ ein Bekenntnis zur Natur, zur Freiheit des Geistes und zur Wertschätzung der Poesie. Das Gedicht reflektiert die Sehnsucht nach Rückzug und die Suche nach einem authentischen Selbst, abseits der Konventionen und des Drucks der Gesellschaft. Die scheinbare Mühelosigkeit des Schaffensprozesses, die im letzten Teil angedeutet wird, unterstreicht die Harmonie zwischen dem Dichter, der Natur und seiner Kunst.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

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