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Am ersten Sonntage im Advent

Von

Evang.: Eintritt Jesu in Jerusalem

Du bist so mild,
So reich an Duldung, liebster Hort,
Und mußt so wilde Streiter haben;
Dein heilig Bild
Ragt überm stolzen Banner fort,
Und deine Zeichen will man graben
In Speer und funkensprüh′nden Schild.

Mit Spott und Hohn
Gewaffnet hat Parteienwut,
Was deinen sanften Namen träget,
Und klirrend schon
Hat in des frömmsten Lammes Blut
Den Fehdehandschuh man geleget,
Den Zepter auf die Dornenkron′.

So bleibt es wahr,
Was wandelt durch des Volkes Mund:
Daß, wo man deinen Tempel schauet
So mild und klar,
Dicht neben den geweihten Grund
Der Teufel seine Zelle bauet,
Sich wärmt die Schlange am Altar.

Wenn Stirn an Stirn
Sich drängen mit verwirrtem Schrei
Die Kämpfer um geweihte Sache,
Wenn in dem Hirn
Mehr schwindelt von der Welt Gebräu,
Von Siegesjubel, Ehr und Rache
Mehr zähe Spinngewebe schwirr′n,

Als stark und rein
Der Treue Nothhemd weben sich
Sollt′, von des Herzens Schlag gerötet:
Wer denkt der Pein,
Durchzuckend wie mit Messern dich,
Als für die Kreuz′ger du gebetet! –
O Herr, sind dies die Diener dein?

Wie liegt der Fluch
Doch über Alle, deren Hand
Noch rührt die Sündenmutter Erde!
Ist′s nicht genug,
Daß sich der Flüchtling wärmt am Brand
Der Hütte? Muß auf deinem Herde
Die Flamme schür′n unsel′ger Trug?

Wer um ein Gut
Der Welt die Sehnsucht sich verdarb,
Den muß der finstre Geist umfahren;
Doch was dein Blut,
Dein heilig Dulden uns erwarb,
Das sollten kniend wir bewahren
Mit starkem aber reinem Mut,

Allmächt′ger du,
In dieser Zeit, wo dringend Not,
Daß rein dein Heiligtum sich zeige,
O, laß nicht zu,
Daß Lästerung, die lauernd droht,
Verschütten darf des Hefens Neige
Und, ach, den klaren Trank dazu!

Laß alle Treu′
Und allen standhaft echten Mut
Aufflammen immer licht und lichter!
Kein Opfer sei
Zu groß für ein unschätzbar Gut,
Und deine Scharen mögen dichter
Und dichter treten Reih an Reih.

Doch ihr Gewand
Sei weiß, und auf der Stirne wert
Soll keine Falte düster ragen;
In ihrer Hand,
Und faßt die Linke auch das Schwert,
Die Rechte soll den Ölzweig tragen,
Und aufwärts sei der Blick gewandt.

So wirst du früh
Und spät, so wirst du einst und heut′
Als deine Streiter sie erkennen:
Voll Schweiß und Müh′,
Demütig, standhaft, friedbereit;
So wirst du deine Scharen nennen
Und Segen strömen über sie.

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Gedicht: Am ersten Sonntage im Advent von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Am ersten Sonntage im Advent“ von Annette von Droste-Hülshoff ist eine tiefgründige Reflexion über die Heuchelei und den Verfall moralischer Werte in einer von Krieg und religiösem Fanatismus geprägten Welt. Es ist ein Appell an eine innere Erneuerung und eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen Lehren Jesu, anstatt auf äußere Zeichen von Macht und Gewalt. Das Gedicht beginnt mit einer Anrufung Jesu, in der seine Milde und sein Leiden angesichts der ihn umgebenden Feindseligkeit betont werden.

Die Autorin beschreibt die Widersprüchlichkeit innerhalb der christlichen Gemeinschaft, wo der Glaube durch Spott und Gewalt pervertiert wird. Die „Parteienwut“ und die „Fehdehandschuhe“ symbolisieren die kriegerischen Auseinandersetzungen, die im Namen des Glaubens geführt werden, während der „Teufel seine Zelle bauet“ und die „Schlange am Altar“ die Vermischung von Gut und Böse, von Heiligkeit und Verderbnis verdeutlichen. Droste-Hülshoff prangert die Heuchelei und den Verlust der wahren christlichen Werte an, indem sie die Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Gläubigen und ihrem tatsächlichen Verhalten aufzeigt. Die ursprüngliche Botschaft Jesu, die Nächstenliebe, Vergebung und Frieden predigte, scheint im Strudel der Konflikte verloren gegangen zu sein.

Im weiteren Verlauf des Gedichts entwickelt Droste-Hülshoff eine klare Botschaft: Nur durch innere Reinheit und einen aufrichtigen Glauben kann die Verderbnis überwunden werden. Sie fordert die Gläubigen auf, die „Sehnsucht nach der Welt“ zu überwinden und sich stattdessen auf die Lehren Jesu und das Opfer Jesu am Kreuz zu konzentrieren. Die „Treue“ und der „reine Mut“ werden als zentrale Tugenden hervorgehoben, die es zu bewahren gilt. Die Autorin betont die Bedeutung der Demut, des Friedens und der Bereitschaft, für den Glauben einzustehen, ohne sich von weltlichen Verlockungen oder der Gewalt verführen zu lassen.

Das Gedicht endet mit einer Vision von einer gereinigten Gemeinschaft, in der die wahren Anhänger Jesu in Frieden und Reinheit leben. Diese Vision wird durch die Metaphern des weißen Gewands, des Ölzweigs und des aufwärts gerichteten Blicks symbolisiert. Das Schwert in der einen Hand und der Ölzweig in der anderen deuten auf die Notwendigkeit, sich zu verteidigen, aber gleichzeitig den Frieden zu suchen. Droste-Hülshoffs Botschaft ist ein Aufruf zur inneren Einkehr, zur Erneuerung des Glaubens und zur Abkehr von den zerstörerischen Kräften, die die Welt beherrschen. Es ist ein Appell an die Gläubigen, ihre Verantwortung zu erkennen und sich für eine bessere, friedlichere Welt einzusetzen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.