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Am Baume

Von

Am Baum′ hab′ ich gestanden,
Der war so hoffnungsgrün,
Nicht lange mehr kann′s dauern
Und freudig wird er blüh′n.

Ein Zweiglein nur streckt trauernd
Die Arme nach mir aus,
Es ist so kahl und dürre,
Schlägt nirgends knospend aus.

O, Zweiglein! was erwachest
Du nicht im Frühlingshauch?
Die Sonne küßt die Fluren,
Sie küsset dich ja auch!

Lockt nicht des Himmels Bläue,
Der lauen Lüfte Weh′n,
Dich, wie die Nachbarzweige
Im Blüthenschmuck zu steh′n?

Laß deine Rinde schwellen
Von frischem Lebenssaft –
Doch, Zweiglein, ach! ich sehe
Dir fehlt die inn′re Kraft!

Dein Mark, ach! ist erstorben,
Vom Winterfrost verzehrt,
Dein zartes Leben haben
Die Stürme rauh zerstört.

Für dich scheint keine Sonne,
Weht keine Frühlingsluft,
Dir sind die Lenzgefilde
Nur eine Todtengruft. –

Ich gehe still von dannen,
Und denk′ an dich zurück,
Und an so mancher Herzen
Dahin gewelktes Glück.

In deren zarte Blüthe
Auch drang so eisig Weh′n,
Daß unter den Lebend′gen
Sie wie Gestorb′ne steh′n!

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Gedicht: Am Baume von Luise Büchner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Am Baume“ von Luise Büchner ist eine melancholische Betrachtung über das Vergehen von Leben und die Vergänglichkeit von Glück. Es beginnt mit der Beobachtung eines hoffnungsgrünen Baumes, dessen Blüte kurz bevorsteht, und kontrastiert dies mit einem traurigen, kahlen Zweig, der keine Knospen treibt und leblos wirkt. Das Gedicht zeichnet sich durch eine tiefe Empathie für das Leid und die Hoffnungslosigkeit aus, die der Zweig verkörpert, und spiegelt die Vergänglichkeit und die Unfähigkeit wider, das eigene Schicksal zu beeinflussen.

Die zweite Strophe nimmt die Perspektive des Sprechers ein, der den Zweig direkt anspricht und versucht, ihn zur „Auferstehung“ zu bewegen. Die rhetorischen Fragen sind mitfühlend und wecken den Wunsch nach Leben, nach Schönheit, nach der Freude der Blütezeit. Die Sonne, der blaue Himmel und der warme Wind, die alle nach dem Leben der anderen Zweige greifen, sollten auch den verlassenen Zweig anregen, aber die Antwort ist immer: „Nein“. Die Metapher des Frühlings als Chance für einen Neuanfang wird hier deutlich, jedoch ohne Erfolg.

In den folgenden Strophen wird die Ursache für die Hoffnungslosigkeit des Zweiges aufgedeckt: Es fehlt die „inn’re Kraft“. Sein Mark ist verdorben, von Winterfrost und Stürmen zerstört. Die Natur, die in anderen Bereichen erblüht, bietet ihm keine Hilfe; für ihn sind die Frühlingswiesen nur ein Friedhof. Diese Bilder sind von großer Intensität und erzeugen ein Gefühl von tiefer Traurigkeit und Verlust. Die poetische Sprache mit Elementen der Personifikation unterstreicht die Empathie und das Verständnis für das Leid des Zweiges.

Das Gedicht findet seinen Höhepunkt in der Schlusswendung, in der die Sprecherin sich von dem Baum entfernt und an das Schicksal anderer Menschen denkt. Der Zweig wird zu einem Symbol für das „welke Glück“ vieler Herzen, in denen das „eisige Wehen“ der Lebensstürme die zarte Blüte zerstört hat. Diese Verallgemeinerung des Schicksals des Zweiges macht das Gedicht zu einer universellen Reflexion über das Leid und die Tragik des menschlichen Lebens. Es erinnert an die Notwendigkeit, die Kraft des Lebens in uns selbst zu suchen, aber auch an das Verständnis für die Verzweiflung, die durch die Erschütterung der Lebenskräfte entsteht.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.