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Als hohe in sich selbst verwandte Mächte…

Von

Als hohe in sich selbst verwandte Mächte
In heilger Ordnung bildend sich gereiht,
Entzündete im wechslenden Geschlechte
Die Liebe lebende Beweglichkeit,
Und ward im Beten tiefgeheimer Nächte,
Dem Menschen jene Fremde eingeweiht,
Ein stilles Heimweh ist mit dir geboren,
Hast du gleich früh den Wanderstab verloren.

Die Töne ziehn dich hin, in sanften Wellen,
Rauscht leis ihr Strom in Ufern von Kristall,
Sirenen buhlen mit der Fahrt Gesellen,
Aus Bergestiefen grüßt sie das Metall,
Der Donner betet, ihre Segel schwellen,
Aus Ferne rufet ernste Widerhall;
Die Wimpeln wehn in bunten Melodien,
O wolltest du mit in die Fremde ziehen.

Die Farben spannen Netze aus, und winken
Dir mit des Aufgangs lebenstrunknem Blick,
In ihren Strahlen Brüderschaft zu trinken.
Am Berge weilen sie, und sehn zurück –
Willst du nicht auch zur Heimat niedersinken?
Denn von den Sternen dämmert dein Geschick,
Die fremde Heimat, spricht es, zu ergründen,
Sollst du des Lichtes Söhnen dich verbünden,

Auch magst du leicht das Vaterland erringen,
Hast du der Felsen hartes Herz besiegt,
Der Marmor wird in süßem Schmerz erklingen,
Der tot und stumm in deinem Wege liegt:
Wenn deine Arme glühend ihn umschlingen,
Daß er sich deinem Bilde liebend schmiegt;
Dann führt dich gern zu jenen fremden Landen,
Dein Gott, du selbst, aus ihm und dir erstanden.

Dich schreckt so stiller Gang, so schwer Bemühen,
Du sehnest dich in alle Liebe hin,
Des Marmors kalte Lippe will nicht glühen,
Die Farbe spottet deiner Hände Sinn,
Die Töne singen Liebe dir und fliehen,
Gewinnst du nicht, so werde selbst Gewinn,
Entwickle dich in Form, und Licht, und Tönen,
So wird der Heimat Bürgerkranz dich krönen.

O freier Geist, du unerfaßlich Leben,
Gesang der Farbe, Formen-Harmonie,
Gestalt des Tons, du hell lebendig Weben,
In Nacht und Tod, in Stummheit Melodie,
In meines Busens Saiten tonlos Beben,
Ersteh′ in meiner Seele Poesie:
Laß mich in ihrer Göttin Wort sie grüßen,
Daß sich der Heimat Tore mir erschließen.

Ein guter Bürger will ich Freiheit singen,
Der Liebe Freiheit, die in Fremde rang,
Will In der Schönheit Grenzen Kränze schlingen,
Um meinen Ruf, des Lebens tiefsten Klang,
Mir eignen, ihn mit Lied und Lieb erringen,
Bis brautlich ganz in Wonne mein Gesang,
Gelöst in Lust und Schmerz das Widerstreben,
Und eigner Schöpfung Leben niederschweben.

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Gedicht: Als hohe in sich selbst verwandte Mächte... von Clemens Brentano

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Als hohe in sich selbst verwandte Mächte…“ von Clemens Brentano ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den Themen Sehnsucht, künstlerischer Kreativität und der Suche nach Heimat. Es zeichnet sich durch eine reichhaltige Symbolik und eine komplexe Struktur aus, die den Leser dazu einlädt, über die Natur des menschlichen Geistes und die Bedeutung von Kunst und Liebe nachzudenken.

Im Zentrum des Gedichts steht die Auseinandersetzung mit der „Fremde“ und der Sehnsucht nach ihr, die in der ersten Strophe als „stilles Heimweh“ beschrieben wird. Die folgenden Strophen beschreiben die Verlockungen und Versuchungen, die mit der Suche nach dieser Fremde einhergehen: die „Töne“, die „Farben“ und die „Formen“. Diese Elemente repräsentieren die Künste, die den Menschen auf seiner Reise begleiten und ihm gleichzeitig Fallen stellen können. Die „Sirenen“ und der „Donner“ in der zweiten Strophe stehen für die verführerischen Aspekte der Künste, während die dritte Strophe die Schönheit und die Vergänglichkeit der Welt betont. Die vierte Strophe deutet an, dass wahre Heimat nur durch künstlerische Transformation und die Überwindung von Widerständen erreicht werden kann, etwa durch die „Besiegt[ung] des Felsens hartes Herz“.

Die fünfte Strophe drückt die Frustration des lyrischen Ichs über die Schwierigkeiten aus, die mit der Suche nach der Heimat verbunden sind. Der Mangel an Erwiderung durch die Kunst („Des Marmors kalte Lippe will nicht glühen“) und die unerreichbare Natur der Schönheit verdeutlichen die Notwendigkeit, sich selbst in den Künsten zu entwickeln. Die letzte Strophe zeigt eine Metamorphose, in der das lyrische Ich seine Sehnsucht durch das Erschaffen von Poesie kanalisiert. Es ruft nach dem „freien Geist“ und der „Göttin“ der Poesie, um die „Heimat“ zu erreichen. Der „Bürgerkranz“ am Ende der fünften Strophe und die „Heimat“ des lyrischen Ichs stellen eine Synthese aus künstlerischer Schöpfung und dem Finden von Identität dar.

Das Gedicht ist reich an Symbolen, die dazu beitragen, seine komplexen Themen zu veranschaulichen. Die „Töne“, „Farben“ und „Formen“ symbolisieren die Künste und die Sinnlichkeit der Welt. Das „Vaterland“ steht für die Heimat, aber auch für die künstlerische Identität und die Selbstverwirklichung. Die „Fremde“ repräsentiert die Sehnsucht nach etwas Neuem, Unbekanntem, aber auch die Herausforderungen, die mit dieser Suche verbunden sind. Die Verwendung von Begriffen wie „Gott“ und „Göttin“ deutet auf eine spirituelle Dimension hin und betont die Bedeutung von Kreativität und Inspiration.

Insgesamt ist Brentanos Gedicht eine tiefgründige Reflexion über die menschliche Erfahrung, die Suche nach Sinn und die transformative Kraft der Kunst. Es zeigt die Sehnsucht nach der Heimat, die mit der Suche nach der eigenen Identität und der künstlerischen Schöpfung verbunden ist. Das Gedicht endet mit einem Ausblick auf Freiheit und die Verwirklichung durch die Künste, wodurch die Reise in die „Fremde“ letztlich zu einer Entdeckung der eigenen „Heimat“ führt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.