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Adelheid und Henrich, oder die neue Eva und der neue Adam (I)

Von

Erste Erzählung

Nichts schmeckt so schön, als das gestohlne Brod.
Ein Sprichwort sagt′s, das ich nicht falsch befinde.
Man prüfe sich! Liegt etwan im Verbot
Die stärkste Kraft, die Würze roher Sünde?
Es wird kein Trank gleichgültig angesehn,
Wenn ihn der Arzt uns ernstlich untersaget:
Und mancher wird was Strafbares begehn,
Nur weil sein Muth ein groß′ Verbrechen waget.
Zwar nenn′ ich nicht der Eva Vorwitz schön;
Doch gleiche Lust verleitet ihre Kinder,
Wie manche wird die erste Mutter schmähn,
Und fehlte doch in gleichem Fall nicht minder!

So sprach ein Mann, als, aus vermeinter Pflicht,
Sein junges Weib in strengem Zorn entbrannte,
Und Evens Fall und blinde Zuversicht,
Voll Spötterei, ich weiß nicht wie benannte.
Wie sollt′ ich doch, so fing sie nochmals an,
Aus Lüsternheit, am Apfel mich zu laben,
Nicht mich allein, auch einen lieben Mann,
In solche Noth, wie sie gestürzet haben?
Gewiß, mich däucht, man fängt uns nicht so bald;
Wer würde wol jetzt einer Schlange trauen?
Ach Schade doch! die schlüpfrige Gestalt
Erweckt allein den Ekel blöder Frauen.
Nein, auf mein Wort! die Aepfel aller Welt
Sind ohne Kraft, dein Evchen zu verführen.
Was hat die Frucht, das uns so sehr gefällt?
Ist sie so süß, und muß man sie probiren?

Süß oder nicht! erwiedert ihr Gemahl,
Der Apfelbaum ist nicht ihr Fall gewesen:
Nur das Geheiß, das Even anbefahl,
Von diesem Baum die Frucht nicht abzulesen.
Sollt′ ich von dir, nur etwas nicht zu thun,
Das gar nicht schön, ja widrig scheint, verlangen,
Mein kluges Weib, du würdest weder ruhn,
Noch fröhlich sein, bis du dich auch vergangen …
Wer? ich? mein Herr … Ja, freilich, eben du.
Besinne dich: sonst wag ich eine Wette …
Gesagt, gethan … Die Frau setzt hurtig zu,
Als ob ihr Geld sich schon verdoppelt hätte.

Beschäme denn die Even unsrer Zeit;
Die Probe soll nichts Schweres in sich fassen.
Was heute dir dein Henrich hart verbeut,
Das hast du stets freiwillig unterlassen.
Wem ist nicht hier der Entenpfuhl bekannt,
Die dir, wie mir, so sehr verhaßte Lache,
Wovon du sonst die Augen angewandt?
Ich glaube nicht, daß die dich lüstern mache.
Nur diesen Pfuhl verwehrt dir mein Gebot:
Gehst du in′s Bad, wie sonst, dich abzukühlen,
So hüte dich, in seinem Schlamm und Koth,
Von morgen an, mit bloßem Fuß zu wühlen.
Ich sehe schon, das gehst du lächelnd ein;
Ich wollte nicht von dir zu viel begehren:
Doch soll auch dies dir bald erlaubet sein,
Denn mein Geheiß soll nur vier Wochen währen …

Vier Wochen nur? Wie kurz ist diese Zeit!
Wer meidet nicht von selbst die garst′ge Pfütze?
Fürwahr! mein Mann ist heute nicht gescheidt,
Und weiß noch nicht, daß ich Verstand besitze.
Ich nehme mir schon Kleid und Kopfputz aus;
Die Wette wird mir mehr als dieses bringen.
Mir soll gewiß der nächste Hochzeitschmaus
Der Damen Neid, der Männer Lob erzwingen.

So schmeichelt sich das tugendhafte Weib.
Sie muß den Sumpf, wie sonst, vorübergehen;
Da wird der Sumpf nur seitwärts angesehen:
Dient auch ein Sumpf zur Lust, zum Zeitvertreib?
Doch bleibt sie bald bei dieser Pfütze stehen.
Sie ist damit zum ersten Mal vergnügt;
Den dritten Tag spaziert sie auf und nieder;
Am vierten scheint, was dort von Moder liegt,
Der Adelheid viel weniger zuwider.
Bald reizet sie sogar das trübe Grün;
Sie fängt fast an, die Enten zu beneiden,
Und deren Trieb, dem Entrich nachzuziehn,
Begeistert sie mit nie gespürten Freuden.

Des Menschen Herz wird stets ein Räthsel sein;
Groß ist sein Muth, noch größer seine Schwäche.
Ich schließe hier mit Recht die Weiber ein,
Zum mindsten halb, wenn ich von Menschen spreche.

Begier und Wunsch nimmt stündlich bei ihr zu.
Der kleine Zwang wird nur zu früh zur Strafe.
Der Vorwitz wächst; er bringt sie aus der Ruh′,
Und stört sie oft des Nachts im ersten Schlafe.
Noch geht ein Tag, ein ganzer Tag, vorbei,
In stummer Furcht, den Unmuth anzuzeigen,
Bis Hannchen forscht. Die Zofe war getreu:
Sie sind allein; und wer kann ewig schweigen?
Sie hatte sonst ihr Alles anvertraut.
Jetzt, da sie ihr die Wette vorerzählet,
Lacht ungescheut das Mädchen überlaut,
Daß ihre Frau nur dieses ihr verhehlet.
Sie spricht hierauf: Sie zögern weiter nicht,
Und baden sich am ersten schönen Morgen.
Ein solcher Leib, ein herrschendes Gesicht
Läßt Häßlichen die Knechtschaft kleiner Sorgen.
In Spanien geht dieser Fußzwang an:
Doch wenn ich recht, nach meiner Einfalt, schließe,
So denk′ ich dies: Dem Weib ist hier ein Mann
Des Leibes Herr, doch nicht ein Herr der Füße.
Erweisen Sie ein ächtes Frauenherz!
Ein hoher Geist ist selten zu geduldig.
Was andre schreckt, ist ihm ein bloßer Scherz;
Sie sind der Welt ein großes Beispiel schuldig.

Der Morgen kömmt; die Schöne geht aufs Feld,
Bemerkt den Pfuhl, doch anfangs nur von weiten,
Weil Furcht und Geiz den Fuß zurücke hält,
Will gleich die Lust ihn hier ins Wasser leiten.
Sie kömmt zuletzt an den bemoosten Rand,
Und hatte nur ihr Hannchen mitgenommen.
Die hält sie auf, und zeigt ihr mit der Hand
Der Enten Zug, die schwimmend näher kommen;
Wie diese taucht; wie jene schnatternd ruht;
Wie im Morast die gelben Schnäbel spielen;
Und dieses macht der Dame neuen Muth,
Von solchem Scherz den seltnen Reiz zu fühlen.
Sie sagt: Wohlan! den Spaß verstatt ich mir;
Ich will dennoch die Wette nicht verlieren.
Ich darf den Sumpf, ständ′ auch mein Henrich hier,
Zum wenigsten mit einer Zeh′ berühren.
Das will ich thun, und zwar den Augenblick:
Der tröste mich für die versäumten Tage!
Doch zeuch mich ja zu rechter Zeit zurück,
Dafern ich mich vergess′, und weiter wage.
Der Anschlag wird behutsam ausgeführt,
Nichts will sie sonst, als den Pantoffel, netzen.
Und dreimal nur. Die Reue, die sie spürt,
Heißt sie den Fuß von selbst aufs Trockne setzen.

Ei nun! verflucht! hebt Hannchen an, und lacht,
Hat ihnen doch kein Priester das befohlen.
Was ist es denn, das sie so schüchtern macht?
Der Henker mag dergleichen Wetten holen.
Sie setzen frei die netten Füßchen drein,
Und gönnen nur dem Rechten erst die Ehre;
Doch soll es nicht hiemit gemeinet sein,
Als ob nicht auch ihr Linker artig wäre.

Das junge Weib folgt diesem Schlangenrath.
Pantoffel, Band und Strumpf wird abgeleget.
Der schönste Fuß, der je die Welt betrat,
Der einen Leib, der seiner werth ist, träget,
Entblößet sich, und rennet durch den Koth,
Vertiefet sich, und plätschert in der Lache,
Und wühlt und forscht, ob Vorwitz und Verbot
Den Ekel selbst zur Lust und Freude mache.

Der Mann, der ihr von ferne zugesehn,
Den weder sie, noch ihre Zof′, entdecket,
Wischt jetzt hervor, und eilt, ihr nachzugehn,
Da sein Gemahl noch in dem Pfuhle stecket.
Sie springt heraus; er aber hält sie an,
Und spricht: Mein Schatz, ach schone deiner Füße!
Vergib es mir, wenn ich mich nicht besann,
Daß hier der Schlamm nur gar zu reizend fließe.
Entfliehe nicht; die Lache schenk′ ich dir:
Fahr′ immer fort, sie deiner Lust zu weihen.
Nur bitt′ ich dich, mein Kind, gelobe mir,
Der Even Schuld großmüthig zu verzeihen.

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Gedicht: Adelheid und Henrich, oder die neue Eva und der neue Adam (I) von Friedrich von Hagedorn

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Adelheid und Henrich, oder die neue Eva und der neue Adam (I)“ von Friedrich von Hagedorn ist eine humorvolle und ironische Nacherzählung des biblischen Sündenfalls, die die Beziehung zwischen Mann und Frau und die menschliche Natur im Allgemeinen auf amüsante Weise seziert. Im Zentrum der Geschichte steht eine Wette zwischen Henrich und seiner Frau Adelheid, bei der Henrich ihr verbietet, einen verhassten Entenpfuhl zu betreten. Diese Ausgangssituation ist ein cleverer Schachzug des Dichters, um die Neugier und den Trotzkopf, die in der menschlichen Natur liegen, zu erforschen.

Die Ironie des Gedichts liegt darin, dass die Frau, Adelheid, durch das Verbot erst richtig motiviert wird, den Pfuhl zu erkunden. Hagedorn zeigt, wie die menschliche Psyche funktioniert: Verbote und Restriktionen wecken oft erst das eigentliche Interesse. Adelheid beginnt zunächst zögerlich, doch die Neugier und der Reiz des Verbotenen überwiegen. Sie wird von Tag zu Tag mutiger, beobachtet die Enten, wird schließlich von ihrer Zofe Hannchen angestachelt und bricht das Verbot. Dieser Verlauf des Geschehens ist meisterhaft dargestellt und mit subtilem Humor gespickt.

Der Dichter nutzt die Geschichte, um das typische Verhalten von Menschen, insbesondere Frauen, zu karikieren. Adelheids anfängliche Abscheu vor dem Pfuhl wandelt sich in Neugier und schließlich in Vergnügen. Die Zofe Hannchen fungiert als Katalysator für Adelheids Handeln und verstärkt die komische Wirkung. Durch die Verwendung des biblischen Vergleichs von Eva und Adam stellt Hagedorn eine Verbindung zur menschlichen Urgeschichte her und unterstreicht die universelle Gültigkeit des dargestellten Verhaltens. Die Anspielungen auf die „verbotene Frucht“ und die Versuchung durch das Verbotene machen das Gedicht zu einer geistreichen Parodie auf religiöse und moralische Vorstellungen.

Das Gedicht gipfelt in einer überraschenden Wendung, als Henrich seine Frau beobachtet und sie ermutigt, das Verbot zu brechen. Diese Pointe verstärkt die Ironie und zeigt die Relativität von Regeln und Verboten auf. Henrichs Reaktion deutet an, dass er das Spiel durchschaut und die menschliche Natur akzeptiert. Die abschließende Bitte um Verzeihung für die „Schuld Evas“ ist sowohl ein humorvoller Abschluss als auch eine subtile Kritik an übertriebenen Moralvorstellungen. Hagedorn demonstriert geschickt, dass die menschliche Natur, insbesondere die Neigung zum Verbotenen, oft stärker ist als jede Regel.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.