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Die alte Waschfrau

Von

Du siehst geschäftig bei dem Linnen
die Alte dort in weißem Haar,
die rüstigste der Wäscherinnen
im sechsundsiebenzigsten Jahr.
So hat sie stets mit sauerm Schweiß
ihr Brot in Ehr und Zucht gegessen
und ausgefüllt mit treuem Fleiß
den Kreis, den Gott ihr zugemessen.

Sie hat in ihren jungen Tagen
geliebt, gehofft und sich vermählt;
sie hat des Weibes Los getragen,
die Sorgen haben nicht gefehlt;
sie hat den kranken Mann gepflegt,
sie hat drei Kinder ihm geboren;
sie hat ihn in das Grab gelegt
und Glaub‘ und Hoffnung nicht verloren.

Da galt’s, die Kinder zu ernähren;
sie griff es an mit heiterm Mut,
sie zog sie auf in Zucht und Ehren,
der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut.
Zu suchen ihren Unterhalt
entließ sie segnend ihre Lieben,
so stand sie nun allein und alt,
ihr war ihr heitrer Mut geblieben.

Sie hat gespart und hat gesonnen
und Flachs gekauft und nachts gewacht,
den Flachs zu feinem Garn gesponnen,
das Garn dem Weber hingebracht;
der hat’s gewebt zu Leinewand.
Die Schere brauchte sie, die Nadel,
und nähte sich mit eigner Hand
ihr Sterbehemde sonder Tadel.

Ihr Hemd, ihr Sterbehernd, sie schätzt es,
verwahrt’s im Schrein am Ehrenplatz;
es ist ihr Erstes und ihr Letztes,
ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz.
Sie legt es an, des Herren Wort
am Sonntag früh sich einzuprägen;
dann legt sie’s wohlgefällig fort,
bis sie darin zur Ruh sie legen.

Und ich, an meinem Abend, wollte,
ich hätte, diesem Weibe gleich,
erfüllt, was ich erfüllen sollte
in meinen Grenzen und Bereich;
ich wollt‘, ich hätte so gewußt
am Kelch des Lebens mich zu laben,
und könnt‘ am Ende gleiche Lust
an meinem Sterbehemde haben.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die alte Waschfrau von Adelbert von Chamisso

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die alte Waschfrau“ von Adelbert von Chamisso beschreibt das Leben einer älteren Frau, die mit hartem Fleiß und treuem Pflichtbewusstsein ihre Jahre verbracht hat. Die Eröffnung stellt die Frau als ein aktives, noch rüstiges Bild einer alten Wäscherin dar, die im hohen Alter von 76 Jahren immer noch ihre Arbeit verrichtet. Ihre Lebensgeschichte wird in einer respektvollen und mitfühlenden Weise erzählt, wobei der Fleiß und die moralische Integrität, mit der sie ihre Aufgaben erfüllt hat, betont werden.

Im Verlauf des Gedichts erfahren wir von ihrer Jugend, in der sie Liebe erlebte, heiratete und Kinder bekam. Sie trägt das Leid und die Sorge einer Mutter und Ehefrau, pflegt ihren kranken Mann und überwindet schließlich seinen Tod. Trotz der zahlreichen Prüfungen behält sie ihren Glauben und ihre Hoffnung, was ihre starke innere Resilienz und Lebenswillen widerspiegelt. Auch nach dem Verlust des Mannes bleibt sie fähig, für sich und ihre Kinder zu sorgen, wobei ihr Leben von einem unermüdlichen Streben nach Pflichtbewusstsein und Sorgfalt geprägt ist.

Der abschließende Teil des Gedichts stellt das „Sterbehemde“ dar – ein Symbol für das Ende des Lebens, das die Waschfrau mit eigener Hand gefertigt hat. Es ist ihr letzter Besitz, ihr „Kleinod“, das sie sowohl als Vorbereitung auf den Tod als auch als Erinnerung an ihr erfülltes Leben schätzt. Es wird deutlich, dass sie ihr Leben nicht nur mit harter Arbeit und Selbstgenügsamkeit gelebt hat, sondern auch mit einer tiefen Achtsamkeit für den Tod und die Ewigkeit.

In der Reflexion des lyrischen Ichs am Ende des Gedichts drückt sich der Wunsch aus, ein Leben ähnlich der alten Waschfrau zu führen: mit Hingabe, in Erfüllung der eigenen Aufgaben und mit der inneren Zufriedenheit, die mit einem gut gelebten Leben verbunden ist. Das Bild des „Sterbehemdes“ fungiert hier als Metapher für ein Leben, das mit Bedacht und ohne Reue gelebt wurde. Die Kontraste zwischen harter Arbeit und spiritueller Erfüllung, zwischen Jugend und Alter, zwischen Leben und Tod werden dabei auf berührende Weise miteinander verbunden.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.