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Abschied von der Junggesellenzeit

Von

Agathe, wackel nicht mehr mit dem Busen!
Die letzten roten Astern trag herbei!
Laß die Verführungskünste bunter Blusen,
Das Zwinkern laß, den kleinen Wohllustschrei…
Nicht mehr für dich foxtrotten meine Musen –
Vorbei – vorbei –
Es schminkt sich ab der Junggesellenmime:
Leb wohl! Ich nehm mir eine Legitime!

Leb, Magdalene, wohl! Du konntest packen,
Wenn du mich mochtest, bis ich grün und blau.
Geliebtendämmerung. Der Mond der weißen Backen
Verdämmert sacht. Jetzt hab ich eine Frau.
Leb, Lotte, wohl! Dein kleiner fester Nacken
Ruht itzt in einem andern Liebesbau…
Lebt alle wohl! Muß ich von Kindern lesen:
Ich schwör sie ab. Ich bin es nicht gewesen.

Nur eine bleibt mir noch in Ehezeiten –
In dieser Hinsicht ist die Gattin blind -,
Dein denk ich noch in allen Landespleiten:
Germania! Gutes, dickes, dummes Kind!
Wir lieben uns und maulen und wir streiten
Und sind uns doch au fond recht wohlgesinnt…
Schlaf nicht bei den Soldaten! Das setzt Hiebe!
Komm, bleib bei uns! Du meine alte Liebe – !

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Gedicht: Abschied von der Junggesellenzeit von Kurt Tucholsky

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Abschied von der Junggesellenzeit“ von Kurt Tucholsky ist eine ironisch-humorvolle Verabschiedung des lyrischen Ichs von seinem bisherigen, ungebundenen Leben und ein Eintritt in die Ehe. Die ersten beiden Strophen verabschieden die diversen Damen aus dem vorherigen Liebesleben, wobei die Abschiedsformel „Leb wohl!“ mehrfach wiederholt wird, um das Ende dieser Phase zu unterstreichen. Die Anrede der Damen, die durch ihre Namen wie Agathe, Magdalene und Lotte personalisiert werden, deutet auf eine gewisse Wertschätzung, jedoch auch auf eine Distanz, die durch die humorvolle Beschreibung ihrer „Verführungskünste“ und die Feststellung „Vorbei – vorbei –“ zusätzlich hervorgehoben wird. Das Gedicht nimmt die Form einer Art Inventar des vergangenen Lebens auf, das nun zugunsten der Ehe aufgegeben wird.

In der dritten Strophe erfolgt jedoch eine überraschende Wendung. Hier wird nicht die Ehefrau, sondern „Germania“ – das ist das deutsche Volk oder Deutschland selbst – als die letzte verbleibende Geliebte ins Zentrum gerückt. Diese personifizierte Germania wird als „gutes, dickes, dummes Kind“ beschrieben, was eine Mischung aus Zuneigung und Kritik impliziert. Die Zeilen „Wir lieben uns und maulen und wir streiten / Und sind uns doch au fond recht wohlgesinnt…“ verdeutlichen die ambivalente Beziehung des lyrischen Ichs zu seinem Vaterland, die von Streit und Auseinandersetzung, aber auch von tiefer Verbundenheit geprägt ist. Die Zeile „Schlaf nicht bei den Soldaten! Das setzt Hiebe!“ kann als eine Mahnung vor Krieg und Gewalt verstanden werden, die in den Weimarer Republik besonders relevant war.

Die Ironie des Gedichts liegt in der Art und Weise, wie Tucholsky die unterschiedlichen Frauen, die das lyrische Ich einst liebte, und Germania, die „alte Liebe“, gegenüberstellt. Während die Abschiede von den Frauen von einer gewissen Distanz und dem neuen Eheglück geprägt sind, evoziert die Zuneigung zu Germania eine tiefe emotionale Bindung. Es ist ein Abschied von der Freiheit und eine gleichzeitige Begrüßung einer neuen Form der Gebundenheit – einer familiären und gesellschaftlichen. Die „Legitime“, die heiratet, könnte die Staatsbürgerschaft oder einen Platz in der bürgerlichen Gesellschaft symbolisieren, während Germania die tiefere, emotionalere Heimat verkörpert.

Die Verwendung von ironischen und humorvollen Elementen ist typisch für Tucholskys Stil. Er setzt die Ironie ein, um soziale Konventionen zu hinterfragen und gleichzeitig eine tiefere Wahrheit über die menschliche Natur und die Beziehung zur Heimat zu offenbaren. Das Gedicht ist somit nicht nur ein Abschied von der Junggesellenzeit, sondern auch eine Reflexion über Liebe, Heimat und die komplexen Beziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft. Die humorvolle Verabschiedung der früheren Lieben relativiert die Bedeutung des alten Lebens und ebnet den Weg für einen neuen Lebensabschnitt, der mit Germania als „alter Liebe“ eine ebenso wichtige und tiefere Bedeutung hat.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.