Ein namenloses Heimweh weinte lautlos
In meiner Seele nach dem Leben, weinte,
Wie einer weint, wenn er auf großem Seeschiff
Mit gelben Riesensegeln gegen Abend
Auf dunkelblauem Wasser an der Stadt,
Der Vaterstadt, vorüberfährt. Da sieht er
Die Gassen, hört die Brunnen rauschen, riecht
Den Duft der Fliederbüsche, sieht sich selber,
Ein Kind, am Ufer stehn, mit Kindesaugen,
Die ängstlich sind und weinen wollen, sieht
Durchs offene Fenster Licht in seinem Zimmer –
Das große Seeschiff aber trägt ihn weiter,
Auf dunkelblauem Wasser lautlos gleitend
Mit gelben, fremdgeformten Riesensegeln.
Aber seltsam!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Aber seltsam!“ von Hugo von Hofmannsthal beschreibt ein tiefes Gefühl der Sehnsucht, das als „namenloses Heimweh“ bezeichnet wird. Der Dichter vergleicht dieses Gefühl mit dem Schmerz eines Reisenden, der mit einem Schiff an seiner Heimatstadt vorbeifährt. Dabei wird eine melancholische Stimmung erzeugt, die durch die Kombination von Bildern und Emotionen verstärkt wird. Der Reisende blickt auf die vertrauten Orte seiner Kindheit, wie die Gassen, die Brunnen und die Fliederbüsche, und erinnert sich an sich selbst als Kind, das am Ufer steht.
Die Sehnsucht wird durch das Bild des „großen Seeschiffs“ und der „gelben Riesensegel“ verkörpert, die den Dichter immer weiter von seiner Heimat entfernen. Dieses Schiff symbolisiert die Unaufhaltsamkeit der Zeit und des Lebens, die uns von den Orten und Menschen trennt, die wir lieben. Die Farbe Gelb, zusammen mit den „fremdgeformten Riesensegeln“, erzeugt einen Eindruck von Distanz und Fremdheit, der das Gefühl des Verlusts verstärkt. Der Begriff „lautlos“ in Bezug auf das Schiff und das Weinen verstärkt die innere Zerrissenheit und die Unfähigkeit, das Gefühl des Heimwehs zu überwinden.
Der Kontrast zwischen der Sehnsucht nach der Vergangenheit und der unaufhaltsamen Reise in die Zukunft ist ein zentrales Thema des Gedichts. Das Kind am Ufer, das sich nach der Geborgenheit seines Zimmers sehnt, steht stellvertretend für die Unschuld und die Verlorenheit. Die Kindesaugen, die „ängstlich sind und weinen wollen“, unterstreichen die Verletzlichkeit und das Bedauern über den Verlust der Heimat. Die Anziehungskraft des Ortes, der Geräusche und der Erinnerungen an die Kindheit steht im Konflikt mit der Notwendigkeit, weiterzuziehen.
Die Verwendung von Bildern wie „dunkelblauem Wasser“ und dem „Licht in seinem Zimmer“ verstärkt die emotionale Tiefe des Gedichts. Das Blau des Wassers steht für die Tiefe der Sehnsucht und das Unbekannte, während das Licht im Zimmer die Geborgenheit und die Sehnsucht nach der Vergangenheit symbolisiert. Hofmannsthal erreicht hier eine vielschichtige Interpretation des Heimwehs, die die Leser dazu anregt, über ihre eigenen Erfahrungen von Verlust und Sehnsucht nachzudenken.
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Lizenz und Verwendung
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