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Abendempfindung

Von

Oft ganze Nachmittage
Horch ich am Waldessaum
Des Kuckuks lauter Klage
Von seinem hohen Baum.

Mein Blick irrt durch der Wiesen
Mit Gold durchwirktes Grün,
Bis wo die blauen Riesen
Im Abendrothe glühn.

Rechts jene Bergesstirnen,
Die, sich Titanen gleich
Gesellend den Gestirnen,
Bedrohn das Aetherreich;

Und dort zu meiner Linken
Der hehre Feuerball,
Der immer wächst im Sinken,
Wie die Lawin′ im Fall;

Der Anblick dieser Scene,
Der Landschaft höchste Zier,
Statt Lust, die ich ersehne,
Erweckt nur Wehmuth mir.

Das Sein wird mir zum Traume,
Seh′ ich mit Einemmal
Und in demselben Raume
Zwei Bilder von Verfall:

Den Feuerball verschlungen
Hat unheilfroh die Flut,
Und Dämmerungsgrau verdrungen
Des Bergreihns Purpurglut.

Verstummt sind alle Klänge.
Wie todt sind Feld und Wald,
Und Nachtigallgesänge
Und Kuckuksruf verhallt.

Sein Leichentuch verbreitend,
Sargt Nebel ein die Welt;
Und, trüb am Himmel schreitend,
Hellt Mond das Leichenfeld.

(Anm. d. Verf.)

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Gedicht: Abendempfindung von Elisabeth Kulmann

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Abendempfindung“ von Elisabeth Kulmann entfaltet eine melancholische Stimmung, die von der Betrachtung der Natur am Abend ausgeht und in eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit und Tod mündet. Die Autorin beginnt mit einer Beschreibung der Natur, wobei die Elemente des Waldes, der Wiesen und der Berge detailliert dargestellt werden. Durch das Lauschen des Kuckucks und das Betrachten des Sonnenuntergangs schafft sie eine Atmosphäre der Kontemplation und des Rückzugs in die Natur.

In der zweiten Hälfte des Gedichts kippt die Stimmung von der Beobachtung der Natur in eine düstere Betrachtung von Verfall und Tod. Die beschriebenen Landschaften verwandeln sich in ein Bild des Untergangs, wobei der Sonnenuntergang und die Bergspitzen als Metaphern für den Tod und die Vergänglichkeit des Lebens dienen. Die Zeilen „Das Sein wird mir zum Traume“ und „zwei Bilder von Verfall“ weisen auf die innere Zerrissenheit der Autorin hin, die in der Abenddämmerung die Zeichen des Todes und der Vergänglichkeit erblickt. Die fließenden Übergänge zwischen Naturbeobachtung und der philosophischen Reflexion sind ein zentrales Element.

Die Sprache Kulmanns ist reich an Bildern und Emotionen, die die Atmosphäre des Gedichts verstärken. Das „mit Gold durchwirktes Grün“ der Wiesen und das „Abendrothe“ der Berge stehen im Kontrast zu den Bildern des Verfalls und des Todes, die später im Gedicht dominieren. Die Verwendung von Wörtern wie „Wehmuth“, „unheilfroh“ und „Leichentuch“ unterstreicht die melancholische Grundstimmung. Die Natur, die anfangs als Quelle der Schönheit und Kontemplation erscheint, wird in der letzten Strophe zu einem Friedhof, der von Nebel bedeckt und vom Mond erleuchtet wird.

Die Abendempfindung wird somit zu einer Reflexion über die menschliche Existenz und die Vergänglichkeit aller Dinge. Das Gedicht ist mehr als nur eine Naturbetrachtung, es ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den Themen Tod, Vergänglichkeit und der Suche nach Sinn in einer Welt, die von ständigem Wandel geprägt ist. Die Autorin nimmt die Schönheit der Natur wahr, um sich dann mit der Melancholie und den flüchtigen Momenten des Lebens auseinanderzusetzen. Die Metaphern und Bilder, die Kulmann verwendet, laden den Leser dazu ein, über die eigene Existenz nachzudenken.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.