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Abendempfindung

Von

Wie süß im dämmerhellen Walde,
Wenn Harzduft von den Bäumen trieft,
Zu ruhen an der Bergeshalde,
In alter Sänger Lied vertieft!

Rings Stille, daß vom Lärm der Erde
Kaum einen Ton dein Ohr vernimmt,
Als das Geläut der Ziegenherde,
Die einsam an der Halde klimmt.

Und, wie dich aus den alten Rollen
Der Hauch vergangner Zeit umquillt,
Versinkt das Heut mit seinem Wollen
Und Thun dir wie ein Schattenbild.

Ist diese Luft, die mir mit leisen
Windhauchen um die Schläfe spielt,
Nicht noch dieselbe, die den Weisen
Chaldäas einst die Stirn gekühlt?

Sah dem verglüh′nden Sonnengolde
Im Westen dort nicht so wie du
An ihres Tristans Arm Isolde
Vom Waldesrande träumend zu?

Unsterblich, wie vor tausend Jahren,
Blühn noch die Fluren, grünt das Laub,
Und die Geschlechter, welche waren,
Sie wären Asche nur und Staub?

Nein! in dem Werden und Entfalten
Zieht immer das Gewes′ne nur
Durch alle Formen und Gestalten
Der rastlos kreisenden Natur.

Nicht anders lebst du selbst als jene,
Die vor Jahrtausenden gelebt;
Alt, wie die Erde, ist die Thräne,
Die eben dir am Auge bebt.

Du denkst es; schon am Waldessaume
Erlosch die Glut des Abendscheins;
Es dunkelt, und du wirst im Traume,
Mit allen, die gewesen, eins.

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Gedicht: Abendempfindung von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Abendempfindung“ von Adolf Friedrich Graf von Schack ist eine lyrische Reflexion über die Erfahrung des Augenblicks, die Einsamkeit und die Verbundenheit von Vergangenheit und Gegenwart, ausgehend von einer Abendstimmung in der Natur. Der Dichter beschreibt eine Szene der Ruhe und des Rückzugs in der Natur, wobei er die Stille und die friedliche Atmosphäre nutzt, um über die Vergänglichkeit des Lebens und die Ewigkeit der Natur nachzudenken.

Der erste Teil des Gedichts (Strophen 1-3) beschreibt die sinnliche Erfahrung des Abends in der Natur: Der Duft der Bäume, die Stille, unterbrochen nur vom Klang der Ziegenglocken. Diese Szenerie führt den Dichter in einen Zustand der Kontemplation, in dem die Vergangenheit durch das Eintauchen in die Lieder der „alten Sänger“ lebendig wird. Die Gegenwart und ihre Sorgen verblassen wie ein „Schattenbild“. Die Verwendung von Wörtern wie „süß“, „Stille“ und „vertieft“ unterstreicht die positive emotionale Resonanz dieser Erfahrung.

In den folgenden Strophen (4-7) vertieft sich die Reflexion und nimmt einen philosophischen Charakter an. Der Dichter stellt Fragen nach der Kontinuität der Natur, der Ewigkeit der Gefühle und der Bedeutung des menschlichen Daseins angesichts der Zeit. Er vergleicht die Abendluft mit derjenigen, die schon die Weisen Chaldäas einst kühlte, und erinnert an die Liebe zwischen Tristan und Isolde, um die Ewigkeit von Emotionen darzustellen. Dies führt zu der Erkenntnis, dass die Natur, einschließlich der Blumen und des Laubes, unverändert blüht, während die menschlichen Generationen vergehen und zu Staub werden. Der zentrale Gedanke ist hier die zyklische Natur des Lebens und die Verbundenheit aller Generationen.

Im letzten Teil (Strophen 8-9) verdichtet sich die Erkenntnis: Der Dichter realisiert, dass auch er Teil dieses ewigen Kreislaufs ist. Seine Tränen sind so alt wie die Erde, was die Verbundenheit des Einzelnen mit der Geschichte der Menschheit verdeutlicht. Die Metapher vom „Waldessaume“, an dem die Glut des Abendscheins erlischt, symbolisiert das Ende des Tages und den Übergang zur Nacht, zum Traum. In diesem Traum, in dem der Dichter mit allen, die gewesen sind, eins wird, findet sich eine Auflösung des individuellen Bewusstseins in das universelle Sein. Das Gedicht endet mit einem Gefühl der Einheit und des Trostes, das aus der Erkenntnis der Verbundenheit mit dem ewigen Kreislauf des Lebens entsteht.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.