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Abenddämmerung

Von

Am blassen Meeresstrande
Saß ich gedankenbekümmert und einsam.
Die Sonne neigte sich tiefer, und warf
Glührote Streifen auf das Wasser,
Und die weißen, weiten Wellen,
Von der Flut gedrängt,
Schäumten und rauschten näher und näher –
Ein seltsam Geräusch, ein Flüstern und Pfeifen,
Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sausen,
Dazwischen ein wiegenliedheimliches Singen –
Mir war, als hört ich verschollne Sagen,
Uralte, liebliche Märchen,
Die ich einst, als Knabe,
Von Nachbarskindern vernahm,
Wenn wir am Sommerabend,
Auf den Treppensteinen der Haustür,
Zum stillen Erzählen niederkauerten,
Mit kleinen horchenden Herzen
Und neugierklugen Augen; –
Während die großen Mädchen,
Neben duftenden Blumentöpfen,
Gegenüber am Fenster saßen,
Rosengesichter,
Lächelnd und mondbeglänzt.

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Gedicht: Abenddämmerung von Heinrich Heine

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Abenddämmerung“ von Heinrich Heine beschreibt eine Szene am Meer in der Abenddämmerung, in der der einsame Ich-Erzähler in seinen Gedanken versunken ist. Die Beschreibung der Natur, insbesondere der untergehenden Sonne und der Wellen, dient als Spiegelbild seiner inneren Gefühlswelt. Die glühenden Streifen auf dem Wasser und das rhythmische Rauschen der Wellen erzeugen eine Atmosphäre der Melancholie und des Rückblicks. Die Natur wird hier nicht einfach nur beschrieben, sondern als Medium genutzt, um die emotionale Befindlichkeit des Sprechers auszudrücken.

Der Kern des Gedichts liegt in den auditiven Eindrücken, dem „seltsamen Geräusch, ein Flüstern und Pfeifen, / Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sausen,“ welches den Erzähler an seine Kindheit erinnert. Dieses Geräusch verwandelt sich in ein „wiegenliedheimliches Singen“, das das Gedicht in eine nostalgische Erinnerung an vergangene Zeiten, insbesondere an die Kindheit, überführt. Die Beschreibung der Kinder, die gebannt den Erzählungen lauschen, während die Mädchen in der Abendsonne lächeln, evoziert ein Bild von Unschuld, Neugier und der Sehnsucht nach der verlorenen Unbeschwertheit.

Die Struktur des Gedichts spiegelt diesen Übergang wider: von der äußeren Welt am Meer zur inneren Welt der Erinnerungen. Die ersten Zeilen etablieren die Szenerie und die melancholische Stimmung. Dann führt das Rauschen des Meeres den Erzähler in die Welt der Kindheit zurück. Diese Rückbesinnung auf die Kindheit, die durch die „uralten, liebliche Märchen“ repräsentiert wird, ist ein zentrales Thema. Es geht um die Sehnsucht nach der Unbeschwertheit und den einfachen Freuden der Kindheit, die durch die Erinnerung an die Sommerabende auf den Treppensteinen der Haustür wachgerufen wird.

Heines Sprache ist bildreich und musikalisch. Die Verwendung von Reim und Rhythmus, insbesondere in der Beschreibung des Meeresrauschens, verstärkt den Eindruck einer natürlichen, fast hypnotischen Bewegung. Die sanften, melancholischen Worte und die Verwendung von Adjektiven wie „blass“, „gedankenbekümmert“ und „liebliche“ unterstreichen die emotionale Tiefe des Gedichts. Der Kontrast zwischen der Einsamkeit des Erzählers am Strand und den Bildern der Kindheit betont die Vergänglichkeit und den Verlust.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.