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Die Wahl

Von

Europa herrschet. Immer geschmeichelter
Gebietest du der Herrscherin, Sinnlichkeit!
Die Blumenkette, die du anlegst,
Klirret nicht, aber umringelt fester,

Als jene, die den bleichen Gefangenen
Im Turme lastet. Zauberin Sinnlichkeit,
Du tötest alles, was erinnert,
Daß sie nicht Leib nur, daß eine Seele

Sie auch doch haben! Von der Erhabenen,
Von ihrer Größe red ich nicht, sage nur:
Du schläferst ein, daß sie in sich nichts
Außer der schlagenden Ader fühlen.

Das soll nun endlich enden! Der edle Krieg
Der großen, liebenswürdigen Gallier
Raubt bis zum letzten Scherf. Euch sinket
Welkend vom Arme die Blumenkette.

Die Donnerstimme schallt euch der eisernen
Notwendigkeit! Ihr strauchelt des Lebens Weg
Verarmt: wie wär es möglich, daß ihr
Nun in der Zauberin Schoß noch ruhtet?

Doch wenn ein Funken Seele vielleicht in euch
Aufglimmet, wenn ihr zürnt, daß ihr Knechte seid …
Was frommts? Ihr habt zum Flintenstein die
Pfennige nicht, noch zu einer Kugel!

Ihr saht es welken, hörtet die eiserne
Notwendigkeit. Was wollet ihr tun? Wohlan,
Zur Wahl: Verzweifelt! oder macht euch
Glücklicher, als es der Zauber konnte.

Wer, was die Schöpfung, und was er selbst sei, forscht;
Anbetend forscht, was Gott sei, den heitert, stärkt
Genuß des Geistes: wen nach diesen
Quellen nie dürstete, der erlieget.

Der Künste Blumen können zur Heiterkeit
Auch wieder wecken; führt euch des Kenners Blick.
Die Farbe trüget oft; der Blumen
Seelen sind labende Wohlgerüche.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Wahl von Friedrich Gottlieb Klopstock

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Wahl“ von Friedrich Gottlieb Klopstock ist eine eindringliche Kritik an der sinnlichen Verblendung und ein Appell zur Rückbesinnung auf geistige Werte. Es thematisiert den Verfall Europas, der durch die Vorherrschaft der Sinnlichkeit gekennzeichnet ist. Diese „Sinnlichkeit“ wird als verführerische Zauberin dargestellt, die die Menschen in ihren Bann zieht und sie ihrer Seele und ihrer Erinnerung beraubt. Klopstock beschreibt sie als eine Macht, die stärker fesselt als die Ketten eines Gefängnisses, indem sie jegliches Streben nach höheren Zielen unterdrückt.

Klopstock kontrastiert die Sinnlichkeit mit der Forderung nach einer geistigen Erhebung. Er ruft dazu auf, sich von den Fesseln der sinnlichen Verlockungen zu befreien und die Seele zu erwecken. Der „edle Krieg“ und die „eiserne Notwendigkeit“ werden als Mittel gesehen, die Menschen aus diesem Zustand zu reißen. Die letzte Strophe bietet die Wahl: entweder die Verzweiflung über den Verlust der Freiheit oder die Suche nach Glück und Erfüllung in der geistigen Welt. Die „Wahl“ ist somit eine Entscheidung zwischen einem Leben in sinnlicher Abhängigkeit und einem Leben in geistiger Freiheit.

Der zweite Teil des Gedichts präsentiert einen Weg zur geistigen Erhebung, indem er die Bedeutung der Forschung und des Geistesgenusses hervorhebt. Der Dichter betont die Notwendigkeit, nach der Bedeutung der Schöpfung und dem Wesen Gottes zu forschen. Durch die Hingabe an diese Fragen, durch „Genuß des Geistes“, kann der Mensch Trost und Stärkung finden. Klopstock hebt auch die Bedeutung der Künste hervor, die als Mittel zur Heiterkeit und zur Anregung des Geistes dienen können. Hier wird die Kunst als eine Möglichkeit der Wiedergeburt und der Rückbesinnung auf die Seele betrachtet.

Die Sprache des Gedichts ist pathetisch und von einem erhabenen Ton geprägt, der der hohen Thematik entspricht. Klopstock nutzt rhetorische Fragen, Metaphern und Personifikationen, um seine Botschaft zu verdeutlichen. Die „Blumenkette“ der Sinnlichkeit und die „eiserne Notwendigkeit“ sind anschauliche Bilder, die die zentralen Konflikte des Gedichts visualisieren. Der Stil ist typisch für die Empfindsamkeit und den Sturm und Drang, wobei Klopstock hier die Ideen der Aufklärung aufgreift und eine Verbindung zwischen Geist und Seele postuliert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Klopstocks „Die Wahl“ ein Plädoyer für die geistige Freiheit und die Überwindung der sinnlichen Verblendung darstellt. Es ist ein Aufruf zur Selbstbesinnung und zur Suche nach höheren Werten, die dem Menschen Glück und Erfüllung bringen können. Das Gedicht spiegelt die gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen seiner Zeit wider und fordert die Leser auf, ihr Leben aktiv zu gestalten und sich von den Fesseln der Sinnlichkeit zu befreien.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.