Lover′s Seat
Im Abend sind wir steile
grünbebuschte Dünenwege hingeschritten.
Du ruhst an mich gedrängt.
Die Kreideklippe schwingt ihr schimmerndes Gefieder
über tiefem Meere.
Hier, wo der Fels
in jäher Todesgier ins Leere
Hinüberlehnt, sind einst zwei Liebende
ins weiche blaue Bett geglitten.
Fern tönt die Brandung.
Zwischen Küssen lausch ich der Legende,
Die lachend mir dein Mund
in den erglühten Sommerabend spricht.
Doch tief mich beugend
seh′ ich wie im Glück erstarren dein Gesicht
Und dumpfe Schwermut
hinter deinen Wimpern warten und das nahe Ende.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Lover’s Seat“ von Ernst Stadler zeichnet eine Szene intimer Zweisamkeit, die von einer tiefen Ahnung des nahenden Endes überschattet wird. Die Beschreibung der Landschaft, die steilen, grünbewachsenen Dünenwege, die schimmernden Kreidefelsen und das tiefe Meer, schafft eine atmosphärische Kulisse. Diese Naturkulisse dient nicht nur als Hintergrund, sondern spiegelt auch die emotionale Spannung und die Ambivalenz der Beziehung wider. Die Wahl des „Lover’s Seat“, eines Ortes mit einer tragischen Geschichte, deutet bereits auf das Schicksal der Liebenden hin.
Die Anwesenheit der Liebenden wird durch körperliche Nähe betont: „Du ruhst an mich gedrängt“. Dieser Moment der Intimität, verstärkt durch die „Kreideklippe“, erzeugt eine Spannung zwischen Leben und Tod, zwischen Liebe und Verlust. Die Erinnerung an ein Paar, das sich von diesem Ort stürzte, verstärkt die düstere Atmosphäre. Die „jähe Todesgier“ des Felsens und der Übergang ins „Leere“ lassen unweigerlich an das Ende denken, das die Liebenden ereilt hat, und bereiten den Leser auf das bevorstehende Unheil vor.
Trotz der idyllischen Umgebung und der körperlichen Nähe, die durch die Küsse und die lachende Stimme der Geliebten ausgedrückt wird, ist die Freude nur von kurzer Dauer. Der Dichter erblickt in dem Glück des Partners eine „dumpfe Schwermut“, die hinter den Wimpern lauert, und das „nahe Ende“. Diese Erkenntnis offenbart das Wissen um das Vergängliche der Liebe und die Unvermeidlichkeit des Schmerzes. Die Beobachtung des erstarrenden Gesichts verstärkt die innere Zerrissenheit und die schmerzliche Ahnung.
Stadler verwebt hier gekonnt Landschaftsbeschreibung, Intimität und eine dunkle Vorahnung, um ein tiefgreifendes Gefühl von Melancholie und Vergänglichkeit zu erzeugen. Die Natur, die zunächst als Schauplatz der Liebe erscheint, wird zum Spiegelbild der inneren Zerrissenheit. Die Verwendung von starken Kontrasten, wie Glück und Trauer, Leben und Tod, verstärkt die emotionale Tiefe des Gedichts und verdeutlicht die Kurzlebigkeit menschlicher Beziehungen im Angesicht des Unvermeidlichen. Die Atmosphäre wird somit zu einem Sinnbild für die menschliche Erfahrung, die von Liebe und Verlust gleichermaßen geprägt ist.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.