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Deutschlands Beruf

Von

Soll’s denn ewig von Gewittern
Am umwölkten Himmel braun?
Soll denn stets der Boden zittern,
Drauf wir unsre Hütten baun?
Oder wollt ihr mit den Waffen
Endlich Rast und Frieden schaffen?

Daß die Welt nicht mehr, in Sorgen
Um ihr leichterschüttert Glück,
Täglich bebe vor dem Morgen,
Gebt ihr ihren Kern zurück!
Macht Europas Herz gesunden,
Und das Heil ist euch gefunden.

Einen Hort geht aufzurichten,
Einen Hort im deutschen Land!
Sucht zum Lenken und zum Schlichten
Eine schwerterprobte Hand,
Die den güldnen Apfel halte
Und des Reichs in Treuen walte.

Sein gefürstet Banner trage
Jeder Stamm, wie er’s erkor,
Aber über alle rage
Stolzentfaltet eins empor,
Hoch, im Schmuck der Eichenreiser,
Wall‘ es vor dem deutschen Kaiser.

Wenn die heil’ge Krone wieder
Eine hohe Scheitel schmückt,
Aus dem Haupt durch alle Glieder
Stark ein ein’ger Wille zückt,
Wird im Völkerrat vor allen
Deutscher Spruch aufs neu‘ erschallen.

Dann nicht mehr zum Weltgesetze
Wird die Laun‘ am Seinestrom,
Dann vergeblich seine Netze
Wirft der Fischer aus in Rom,
Länger nicht mit seinen Horden
Schreckt uns der Koloß im Norden.

Macht und Freiheit, Recht und Sitte,
Klarer Geist und scharfer Hieb,
Zügeln dann aus starker Mitte
Jeder Selbstsucht wilden Trieb,
Und es mag am deutschen Wesen
Einmal noch die Welt genesen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Deutschlands Beruf von Emmanuel Geibel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Deutschlands Beruf“ von Emmanuel Geibel ist ein patriotischer Aufruf zur politischen und nationalen Einigung Deutschlands. Es entstand in einer Zeit, in der die deutschen Staaten noch zersplittert waren und die Sehnsucht nach einem starken, geeinten Reich wuchs. Geibel verknüpft dieses Streben mit der Vorstellung, dass Deutschland eine zentrale, ordnende Rolle für ganz Europa spielen müsse.

Bereits zu Beginn wird das Bild eines unruhigen, krisengeschüttelten Kontinents gezeichnet, in dem Kriege und Unsicherheit herrschen. Deutschland wird dabei als „Europas Herz“ dargestellt – seine Gesundung würde Frieden und Stabilität für den gesamten Kontinent bedeuten. Die Lösung sieht Geibel in einer starken, einheitsstiftenden Herrschaft: Ein Kaiser, der das Reich mit einer „schwerterprobten Hand“ führt und unter dessen Banner sich alle deutschen Stämme sammeln.

Das Gedicht spiegelt den Zeitgeist des 19. Jahrhunderts wider, insbesondere die Idee, dass Deutschland eine Führungsrolle in Europa übernehmen sollte. Es richtet sich gegen ausländische Mächte wie Frankreich („Laun‘ am Seinestrom“), den Vatikan („Fischer in Rom“) und Russland („der Koloß im Norden“), die als Bedrohungen dargestellt werden. In der berühmten Schlusszeile „Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen“ fasst Geibel seine Überzeugung zusammen: Er sieht Deutschland als Vorbild für Ordnung, Recht und Freiheit, das anderen Nationen als Leitbild dienen soll.

Der Text ist Ausdruck eines idealisierten deutschen Nationalbewusstseins, das später unterschiedlich interpretiert wurde. Während er zur Zeit der Reichsgründung als visionäre Forderung nach Einheit gesehen wurde, wurde die letzte Zeile später nationalistisch überhöht. Dennoch bleibt das Gedicht ein bedeutendes Dokument der deutschen Einigungsbewegung des 19. Jahrhunderts.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.