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Der gelehrte Kater

Von

Ein Kater sitzt vor’m dicken Buch
Die Brille auf der Nase;
Man sieht’s, er denkt gewaltig klug
Ob einer dunklen Phrase.
Er zieht die Stirne kraus und krumm,
Legt sie in hundert Falten;
Es geht ihm Viel im Kopf herum,
Denn er studirt die Alten.

Die schönsten Frauchen schleichen dort
Am stillen Schornsteinplatze;
Wie sie miauen fort und fort:
Er liebt nicht eine Katze!
Lieb‘, Freundschaft, Schönheit prallen ab
Von seiner Brust, der kalten;
Sein Inn’res ist ein weites Grab,
Drinn spucken nur die Alten.

Er wäscht sich nicht, er kämmt sich nicht;
Er bleibt in seinem Schmutze:
Was scheert mich mein gemein Gesicht,
Wenn ich die Seele putze!
So schnurrt den Muhmen er Bescheid,
Die ihren Vetter schalten:
Was brauch‘ ich eure Sauberkeit
Im Schattenreich der Alten!

Komm‘ mit! sagt ihm sein Kamerad,
Hier nebenan im Häuschen,
Da schmausen wir ganz delicat,
Da gibt’s die fett’sten Mäuschen!
Der Kater wirft zwar einen Blick
Durch seines Bodens Spalten,
Doch zieht er sich sogleich zurück
Und hungert bei den Alten.

Der König seines Vaterlands,
Das ist ein arger Sünder;
Die Bürger all‘ des Katerlands
Sie schreien wie die Kinder.
Das ganze Reich ist voll Miaus
Ob des Tyrannen Walten:
Der Kater macht sich gar Nichts draus,
Denn er ist bei den Alten.

Die Feinde dringen in das Land,
Die großen Metzgerhunde;
Von jeder Mauer, jeder Wand
Hört man die Schreckenskunde;
Man zieht die Krallen vor, um
Wauwauer abzuhalten!
Nur Einer, das gelehrte Vieh,
Bleibt ruhig bei den Alten.

Im ganzen Reiche rundherum
Murrt man von ihm am Schlimmsten;
So manchen Kater nennt man dumm,
Doch ihn den Allerdümmsten:
Er lachte, sang und liebte nie,
Wenn wir die Lust umkrallten;
So laßt denn das gelehrte Vieh
Verfaulen bei den Alten!

Er starb. Kein Kater, keine Katz‘
Hat kläglich drob miauet;
Im Gegentheil: sein Studienplatz
Ward ekelhaft besauet.
Sein Wissen, das mit ihm verscharrt,
Schrien sie, er mag’s behalten!
Wir leben in der Gegenwart
Und schnurren auf die Alten!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der gelehrte Kater von Adolf Glaßbrenner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der gelehrte Kater“ von Adolf Glaßbrenner ist eine satirische Auseinandersetzung mit der Welt des Gelehrten, die auf groteske Weise die Abkehr von den Freuden des Lebens zugunsten einer einseitigen, weltfremden Gelehrsamkeit darstellt. Der Kater wird als eine Figur entworfen, die jegliche irdische Genüsse, wie Liebe, Schönheit, Genuss und soziale Interaktion, ablehnt, um sich stattdessen ausschließlich den „Alten“ – also der Gelehrsamkeit und dem Studium vergangener Zeiten – zu widmen. Dies wird durch die wiederholte Betonung des Katers als uninteressiert an den Freuden seiner Umgebung und an den Belangen seines Volkes verdeutlicht.

Die satirische Wirkung des Gedichts wird durch eine Reihe von Kontrasten erzeugt. So werden dem Kater, der sich in seinem „Schmutze“ wohlfühlt, die „schönsten Frauchen“ und die „fett’sten Mäuschen“ gegenübergestellt, die er jedoch verachtet. Seine kalte Brust und das „weite Grab“ im Inneren stehen im Gegensatz zur Lebensfreude und den Trieben der anderen Katzen. Diese Gegensätze verdeutlichen die soziale Isolation des Katers und seine Unfähigkeit, am Leben teilzunehmen. Zudem ist die Ablehnung der realen Welt durch den Kater so ausgeprägt, dass er selbst in Zeiten von Krieg und Not unberührt bleibt.

Der Verlauf des Gedichts spitzt sich bis zum Höhepunkt zu, in dem der Kater stirbt und seine Umgebung keinerlei Trauer empfindet. Im Gegenteil, sein Studienplatz wird „ekelhaft besauet“, und seine Mitkatzen verhöhnen sein Wissen und seine Abkehr von der Gegenwart. Dies unterstreicht die Botschaft des Gedichts, dass eine einseitige Fokussierung auf Gelehrsamkeit, ohne die Freuden des Lebens zu genießen, letztendlich zu Isolation, Missachtung und einem sinnlosen Leben führt. Die Schlusszeilen sind ein deutliches Plädoyer für die Gegenwart und die Lebensfreude, indem sie die „Alten“ als etwas darstellen, das verfallen und vergessen werden kann.

Die Sprache des Gedichts ist einfach und volkstümlich, mit einem humorvollen Unterton, der die satirische Wirkung verstärkt. Die Reime und der Rhythmus machen das Gedicht leicht zugänglich und unterhaltsam, während die übertriebene Darstellung des Katers und seiner Umgebung das Lächerliche der Situation hervorhebt. Die Wahl des Katers als Protagonisten ist dabei besonders treffend, da Katzen oft mit einer gewissen Eigenwilligkeit und Distanziertheit assoziiert werden, was die Figur des gelehrten Katers zusätzlich charakterisiert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Glaßbrenners „Der gelehrte Kater“ eine bissige Kritik an der einseitigen Gelehrsamkeit und der Abkehr vom Leben darstellt. Durch die satirische Überzeichnung der Figur des Katers und die Kontraste zu seiner Umgebung wird die Botschaft vermittelt, dass ein Gleichgewicht zwischen Wissen, Genuss und sozialer Teilhabe für ein erfülltes Leben unerlässlich ist. Das Gedicht dient somit als humorvoller Appell für die Lebensfreude und die Wertschätzung der Gegenwart.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.