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Der Grieche im Norden

Von

Gerne glaub′ ich an die Mythe,
Freund, daß aus der Nymphen Schar
Im Gefolg′ der Amphitrite
Eine deine Mutter war,
Daß am Klippenstrand von Delos,
Bald in Grotten, meerumschäumt,
Bald auf Halden, ewig schneelos,
Du die Kinderzeit verträumt.

Dort auf eines Felshangs Rasen
Lagst du bei der Flut Geroll,
Wenn das Muschelhörnerblasen
Der Tritonen vor dir scholl
Und der Nereiden Lachen,
Die in des Poseidon Zug
Auf gezäumten Meeresdrachen
Hin und her die Woge schlug.

In den immer lauen Lüften,
Drin ihr Haupt die Palme wiegt,
Hat um Brust dir und um Hüften
Keine Hülle sich geschmiegt;
Aber welcher Dämon war es,
Welches bösen Gottes Fluch,
Der an unser unwirtbares,
Eis′ges Ufer dich verschlug?

Aus den Nebeln, drin wir siechen,
Ward von dir seitdem die Flucht
Nach dem Sonnenland der Griechen
Fort und fort umsonst gesucht,
Und der du vordem im Süden
Blühtest, den Olympiern gleich,
Nun in unserm Frost mit müden
Gliedern wankst du krank und bleich.

Nein! Nicht so im Winterkleide
Kaure fort am Flammenherd!
Nimm den Trank hier, teurer Heide,
Drin des Südens Feuer gärt!
Selbst ihn durch die Purpurwogen
Bracht′ ich dir von Hellas her,
Wo er seine Glut gesogen
Aus der Sonne des Homer.

Trink, den Frost des Bluts zu tauen;
Und, verklärt in lauterm Glanz,
Wieder dir zu Häupten blauen
Wird der Himmel Griechenlands.
Auf den Hügeln, auf den Hängen
Liegt des Herbstes goldner Schein,
Und bei jubelnden Gesängen
Keltern Jünglinge den Wein.

Und, umbraust von wutentbrannter
Thyrsusschwinger Evoe,
Naht mit dem Gespann der Panther
Selbst der Sohn der Semele;
Satyrn folgen mit den Schläuchen,
Faune, trippelnd auf den Zeh′n,
Und, voll süßen Weins, mit Keuchen
Schleppt sich hinterdrein Silen.

Polyphem läßt seine Lämmer
An des Westens Ocean,
Der Cyklope sein Gehämmer
In der Werkstatt des Vulkan;
Ihrer jeder drängt zur Kelter
Sich heran in wildem Lauf,
Fängt die Güsse saftgeschwellter
Trauben mit den Lippen auf.

Und der Jubel braust gedoppelt;
Aus dem Kreis der andern tritt
Mensch und Roß in eins gekoppelt,
Ein Centaur im Taumelschritt,
Und zu dir, ein halb Bezechter,
Spricht er: »Alter Freund, so stumm?
Ein homerisches Gelächter
Laß doch hören wiederum!«

Ja, der Sorgen trüben Heerrauch,
Drin dein Leben welkt und dorrt,
Mein Genelli, ob dich schwer auch
Deutschland kränkte, scheuch ihn fort!
Die Olympier selber grämen
Sich, daß so dein Pinsel ruht;
Drunten irren, blasse Schemen,
Sie um des Kocytus Flut.

Ach! das Naß der Griechenreben
Weckt sie kurz nur, halb zum Schein;
Dich, es ihnen ganz zu geben,
Flehn sie an; die Macht ist dein.
Auf! All deine Lebensgeister
Sammle, von dem Trank durchglüht,
Daß durch dich, geliebter Meister,
Neu die Götterwelt erblüht!

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Gedicht: Der Grieche im Norden von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Grieche im Norden“ von Adolf Friedrich Graf von Schack ist eine elegische Hommage an die griechische Kultur und ein Klagegesang über den Verlust der Lebensfreude und Schönheit, die mit ihr verbunden sind. Es beschreibt die Sehnsucht nach dem sonnigen Griechenland, das im kalten, unwirtlichen Norden verloren gegangen zu sein scheint, und die Hoffnung auf eine Wiedergeburt der griechischen Ideale durch Kunst und Genuss.

Das Gedicht beginnt mit einer imaginären Rückblende in eine idyllische Kindheit des „Griechen“ in der griechischen Mythologie. Es beschwört Bilder von Nymphen, Tritonen und Nereiden, die in einer sonnigen, von der Natur geprägten Umgebung spielen. Der Kontrast zwischen dieser paradiesischen Vergangenheit und der Gegenwart, die im Nebel und Frost des Nordens verortet ist, wird deutlich. Der „Grieche“ leidet unter der Kälte, sowohl physisch als auch emotional, und sehnt sich nach der Wärme und Lebensfreude des Südens.

Die zentrale Metapher des Gedichts ist der Wein, der aus Griechenland importiert wurde und als Symbol für die Wiederbelebung der griechischen Lebensart dient. Der „Trank“ wird als Mittel gesehen, den „Frost des Bluts zu tauen“ und die Lebensgeister zu wecken. Er soll dem „Griechen“ die Kraft geben, die Erinnerung an die verlorene Schönheit Griechenlands wachzuhalten und sie durch seine Kunst, insbesondere durch seine Malerei, wiederaufleben zu lassen. Die letzten Strophen entwerfen eine Vision, in der die griechischen Götter durch die Kunst des „Griechen“ wieder erweckt werden.

Die Sprache des Gedichts ist reich an Bildern und Anspielungen auf die griechische Mythologie und Kultur. Schack nutzt kunstvolle Vergleiche und Metaphern, um die Sehnsucht nach Griechenland und die Hoffnung auf eine Wiedergeburt der griechischen Ideale auszudrücken. Die Verwendung des Jambus, des typischen Versfußes in der klassischen Dichtung, unterstreicht die Verbindung zur griechischen Tradition. Die Zeilen sind voller Bilder und Anspielungen, wodurch eine Atmosphäre von Nostalgie und Erwartung erzeugt wird.

Letztlich ist „Der Grieche im Norden“ ein Plädoyer für die Kunst und die Schönheit, die die Welt vor der Trostlosigkeit retten kann. Es ist ein Loblied auf die Kraft der Erinnerung und der Imagination, das die Hoffnung auf eine Wiedergeburt der griechischen Ideale im Herzen des „Griechen“ nährt und ihn dazu ermutigt, die griechische Kultur durch seine Kunst wieder zum Leben zu erwecken.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.