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Der erste Minnesänger

Von

„Blanka, Blanka von Kastilien,
Herrscherin ob Frankreichs Lilien,
Rein wie sie und kalt wie Schnee!
Streng und ernst siehst du mein Minnen,
Keinen Blick selbst kann gewinnen
Meiner Liebe tiefes Weh!“

Thibaut von Navarras Klagen
Sinds, die so allnächtlich tragen
Stille Lüfte durch die Au.
All sein Sinnen, all sein Streben
Hat er ihr dahin gegeben,
Dieser königlichen Frau.

Aber wie der Mond die Bahnen
Ziehet, ohne nur zu ahnen
Erdenleid, so geht sie her;
Lebt in Ludwig ganz, dem Sohne;
Den einst schmückt des Heilgen Krone –
Und sein Lieben wird stets mehr!

Was dem Mann sonst dünkt das Beste,
Kriegsgetümmel, Schlacht und Feste
Flieht er wie ein scheues Wild;
Keine Wunde kann er schlagen,
Im Gefecht, beim wildsten Jagen
Steht vor ihm ihr süßes Bild. –

Sprach ein Greis zum Vielgetreuen:
„Soll dein Gram nicht sich erneuen,
Stets, so folge meinem Wort;
Liebe gleicht des Südens Blüte,
Treibt im innersten Gemüte
Unaufhaltsam, ewig fort!

Kannst sie nicht zum Tod bekämpfen,
Aber ihre Schmerzen dämpfen
In des Schönen Zauberreich;
Nimm den Griffel, nimm die Laute
Und, was dir dein Gram vertraute,
Ström es aus in Liedern reich!

Nur zum Ruhm der Heldensprossen
Hat sich Wort und Ton ergossen,
Ungefügig oft und rau.
Rühre du die sanftren Saiten,
Sing der Seele Lust und Leiden,
Trag dein Weh im Preis der Frau!“

Und Navarras König lauschet,
Mit dem Schwert die Leier tauschet –
Ward gesund durch Lied und Ton.
Doch seitdem Gedicht und Singen,
Liebe wecken, Liebe bringen
Und ist Lieb ihr schönster Lohn!

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Gedicht: Der erste Minnesänger von Luise Büchner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der erste Minnesänger“ von Luise Büchner erzählt in episch-balladenhafter Form die Geschichte des Thibaut von Navarra, der als erster Minnesänger durch die Verwandlung seines Liebesschmerzes in Dichtung gilt. Im Zentrum steht das Motiv der unerwiderten Liebe, das zur Quelle künstlerischen Ausdrucks und zur Geburtsstunde der Minnepoesie wird.

Thibaut leidet unter seiner hoffnungslosen Liebe zu Blanka von Kastilien, die als kalt, rein und unnahbar dargestellt wird. Ihre Rolle als Mutter des zukünftigen heiligen Königs Ludwig IX. und als königliche Herrscherin lässt keine Nähe zu – sie bleibt fern wie der Mond, der unerreichbar seine Bahn zieht. Diese Distanz bringt das lyrische Ich an den Rand der Verzweiflung, sein gesamtes Denken und Streben kreisen nur um sie.

Im Gegensatz zu herkömmlicher Männlichkeit, die sich in Kampf und Fest zeigt, flieht Thibaut das Kriegerische. Seine Liebe macht ihn weich, verletzlich – ein radikaler Kontrast zum idealisierten Ritterbild. Erst der Rat eines weisen Greises bringt Wendung: Er fordert Thibaut auf, den Schmerz nicht zu bekämpfen, sondern ihn durch Kunst zu verwandeln. Die Liebe, so heißt es, lässt sich nicht töten, aber sie kann durch Lied und Dichtung in etwas Höheres überführt werden.

Diese poetologische Deutung verweist auf den Ursprung der höfischen Minnelyrik: Das Leiden am Liebesverlangen wird zur schöpferischen Kraft. Indem Thibaut das Schwert gegen die Laute tauscht, heilt er sich selbst und begründet eine neue Form des Ausdrucks, die die Liebe idealisiert, verklärt und zugleich kultiviert. Büchner verleiht damit nicht nur einer historischen Figur literarisches Leben, sondern würdigt auch die schöpferische Macht der Kunst, aus persönlichem Schmerz universelle Schönheit zu machen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.