Morgenstimmung
Leise schleich ich wie auf Eiern
Mich aus Liebchens Paradies,
Wo ich hinter dichten Schleiern
Meine besten Kräfte ließ.
Traurig spiegelt sich der bleiche
Mond in meinem alten Frack;
Ach die Wirkung bleibt die gleiche,
Wie das Kind auch heißen mag.
Wilhelmine, Karoline,
’s ist gesprungen wie gehupft,
Nur daß hier die Unschuldsmiene,
Dort dich die Routine rupft.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Morgenstimmung“ von Frank Wedekind beschreibt mit einem melancholischen und leicht ironischen Unterton die emotionale Entfremdung und das Ende einer leidenschaftlichen Beziehung. Der Sprecher verlässt „Liebchens Paradies“ in einer fast schleichenden Bewegung, was auf eine gewisse Scham oder Zurückhaltung hinweist. Die Metapher des „Eierschleichens“ verstärkt den Eindruck von Zögerlichkeit und dem Versuch, unauffällig zu entkommen. Die „dichten Schleier“ deuten darauf hin, dass der Sprecher in einer Art illusionärer Welt war, in der er sich aufrichtig oder intensiv verausgabt hat, was schließlich zu einem Gefühl der Erschöpfung und des Verlusts führt.
Das Bild des „bleichen Mondes“ und des „alten Fracks“ symbolisiert den körperlichen und emotionalen Verfall des Sprechers. Der Mond, ein oft verwendetes Symbol für Romantik und Melancholie, wird hier jedoch „bleich“ und kalt, was die Enttäuschung und die leere Stimmung unterstreicht. Der „alte Frack“ steht für eine verblasste Eleganz oder ein früheres Ich, das nicht mehr mit der Gegenwart in Einklang zu stehen scheint. Die Erkenntnis, dass „die Wirkung bleibt die gleiche, wie das Kind auch heißen mag“, deutet darauf hin, dass es unerheblich ist, mit wem der Sprecher seine Gefühle teilt, da das Ergebnis immer dasselbe ist: eine Enttäuschung oder ein Verfall der Liebe.
In der letzten Strophe kommen die Namen „Wilhelmine“ und „Karoline“ ins Spiel, was eine Anspielung auf vergangene Liebschaften oder Beziehungen ist. Diese Namen wirken beinahe beliebig und austauschbar, was die Entfremdung des Sprechers von den früheren Gefühlen unterstreicht. Die Aussage „’s ist gesprungen wie gehupft“ suggeriert, dass die wiederholte Erfahrung der Enttäuschung oder des Verlusts sich nicht ändert, unabhängig von der Identität des Geliebten. Die „Unschuldsmiene“ und „Routine“ symbolisieren die falsche Unschuld und die gleichförmige Enttäuschung, die der Sprecher in jeder neuen Beziehung erfährt.
Wedekind schafft mit diesem Gedicht ein Bild der Enttäuschung, das die Sehnsucht nach einem idealisierten Paradies mit der harten Realität der wiederholten Enttäuschung kontrastiert. Der ironische Ton und die symbolischen Bilder von Verfall und Entfremdung betonen die Unerfülltheit der Liebe und das Scheitern von Beziehungen, die in ihrer Ausführung immer wieder die gleiche, enttäuschende Wirkung haben. Das Gedicht vermittelt eine klare Botschaft über die Unbeständigkeit der Liebe und die Wiederholung von Fehlern im emotionalen Bereich.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.