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Das dritte Reich

Von

Es braucht ein hohes Ideal
der nationale Mann,
daran er morgens allemal
ein wenig turnen kann.
Da hat denn deutsche Manneskraft
in segensreichen Stunden
als neueste Errungenschaft
ein Ideal erfunden:
Es soll nicht sein das erste Reich,
es soll nicht sein das zweite Reich…

Das dritte Reich?
Bitte sehr! Bitte gleich!
Wir dürfen nicht mehr massisch sein –
wir müssen durchaus rassisch sein –
und freideutsch, jungdeutsch, heimatwolkig
und bündisch, völkisch, volkisch, volkig…
und überhaupt.
Wer’s glaubt,
wird selig. Wer es nicht glaubt, ist
ein ganz verkommener Paz- und Bolschewist.

Das dritte Reich?
Bitte sehr! Bitte gleich!
Im dritten Reich ist alles eitel Glück.
Wir holen unsre Brüder uns zurück:
die Sudetendeutschen und die Saardeutschen
und die Eupendeutschen und die Dänendeutschen…
Trutz dieser Welt! Wir pfeifen auf den Frieden.
Wir brauchen Krieg. Sonst sind wir nichts hienieden.
Im dritten Reich haben wir gewonnenes Spiel.
Da sind wir unter uns.
Und unter uns, da ist nicht viel.
Da herrscht der Bakel und der Säbel und der Stock –
da glänzt der Orden an dem bunten Rock,
da wird das Rad der Zeit zurückgedreht –
wir rufen „Vaterland!“, wenn’s gar nicht weiter geht…
Da sind wir alle reich und gleich
im dritten Reich.
Und wendisch und kaschubisch reine Arier.

Ja, richtig… Und die Proletarier!
Für die sind wir die Original-Befreier!
Die danken Gott in jeder Morgenfeier –
Und merken gleich:
Sie sind genau so arme Luder wie vorher,
genau solch schuftendes und graues Heer,
genau so arme Schelme ohne Halm und Haber –
Aber:
im dritten Reich.
Und das sind wir.
Ein Blick in die Statistik:
Wir fabrizieren viel. Am meisten nationale Mistik.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Das dritte Reich von Kurt Tucholsky

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht Das dritte Reich von Kurt Tucholsky ist eine scharfsinnige, satirisch-pointierte Abrechnung mit dem nationalistischen und völkischen Gedankengut der Weimarer Republik, das sich in den 1920er Jahren zunehmend radikalisierte. Tucholsky, ein bedeutender Publizist und Kritiker seiner Zeit, nimmt die politischen und ideologischen Strömungen, die später im Nationalsozialismus kulminieren sollten, mit bitterem Spott und messerscharfer Ironie ins Visier.

Die Grundstruktur des Gedichts basiert auf Wiederholungen und variierenden Refrains („Das dritte Reich? Bitte sehr! Bitte gleich!“), die das Versprechen eines neuen, besseren Deutschlands wie eine absurde Werbekampagne wirken lassen. Damit entlarvt Tucholsky die hohlen Phrasen des aufkommenden Nationalismus. Besonders bissig ist seine Parodie auf die Schlagworte der Zeit: „freideutsch, jungdeutsch, heimatwolkig / und bündisch, völkisch, volkisch, volkig…“ – eine Wortkaskade, die den ideologischen Wirrwarr und die rhetorische Aufgeblasenheit dieser Bewegungen bloßstellt.

Im Zentrum steht die Kritik an der Rückwärtsgewandtheit und Gewaltbereitschaft dieser „neuen Ordnung“. Das sogenannte „dritte Reich“ wird nicht als utopische Zukunft, sondern als regressiver Albtraum beschrieben, in dem „der Bakel und der Säbel und der Stock“ herrschen und die alten Symbole von Gehorsam, Militarismus und nationaler Verblendung wiederaufleben. Tucholsky zeigt, dass hinter dem nationalen Pathos keine soziale Besserung steht – insbesondere nicht für die „Proletarier“, die als „Original-Befreite“ verspottet werden, obwohl sich ihre Lebensverhältnisse nicht verbessern.

In der letzten Strophe kulminiert die Kritik in einer bitteren Pointe: „Wir fabrizieren viel. Am meisten nationale Mistik.“ Der Begriff „Mistik“ (statt „Mystik“) verweist auf eine hohle, irrational überhöhte Ideologieproduktion, die auf Mythen, Wunschbildern und gefährlichen Identitätsfantasien basiert. Tucholsky durchschaut den ideologischen Missbrauch von Sprache und Geschichte – und bringt ihn durch satirische Übertreibung schonungslos ans Licht.

Das Gedicht ist nicht nur ein politisches Zeitdokument, sondern ein Mahntext mit ungebrochener Aktualität. Tucholsky zeigt, wie sich durch sprachliche Verklärung und nationalistische Symbolik ein kollektiver Irrglaube etablieren lässt – und wie gefährlich dieser für Freiheit, Vernunft und soziale Gerechtigkeit ist.

Möchtest du, dass ich das Gedicht in seinen historischen Kontext der Weimarer Republik näher einordne?

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.