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Die Stadt

Von

Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drückt die Dächer schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
Kein Vogel ohn Unterlass;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
Am Strande weht das Gras.

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugend Zauber für und für
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer.

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Gedicht: Die Stadt von Theodor Storm

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Stadt“ von Theodor Storm ist eine poetische Liebeserklärung an eine unscheinbare, ja beinahe trostlos wirkende Küstenstadt. In drei Strophen entfaltet Storm eine Landschaft von melancholischer Kargheit und farblicher Düsternis, die jedoch – entgegen aller äußeren Nüchternheit – tief im Herzen des lyrischen Ichs verankert ist. Das Gedicht lebt von der Spannung zwischen äußerer Trostlosigkeit und innerer Bindung, zwischen objektiver Tristesse und subjektiver Erinnerung.

Bereits die erste Strophe zeichnet ein Bild der Abgeschiedenheit: Die Stadt liegt „seitab“, also fern der Welt, bedrückt vom Nebel und umtost vom eintönigen Rauschen des Meeres. Das wiederholte Grau – „grauer Strand“, „graues Meer“ – und die schwere Atmosphäre verleihen dem Ort etwas Unwirtliches. Auch die Geräuschkulisse – das „braust“ und „eintönig“ – verstärkt das Bild einer kalten, gleichförmigen Umgebung.

Die zweite Strophe macht deutlich, was dieser Ort nicht bietet: Kein frühlingshaftes Erwachen, kein Wald, kein unaufhörlicher Vogelgesang. Nur der harte Schrei der „Wandergans“ in der Herbstnacht unterbricht die Stille, und das Gras am Strand bewegt sich im Wind. Alles wirkt karg, spärlich belebt, fast leer – ein Ort ohne offensichtlichen Zauber. Storm verzichtet bewusst auf romantische Verklärung und schildert die Natur in ihrer rauen, norddeutschen Nüchternheit.

Und doch erfolgt in der dritten Strophe ein emotionaler Umschwung: Trotz aller Tristesse hängt das Herz des lyrischen Ichs an dieser „grauen Stadt am Meer“. Hier offenbart sich die Macht der Erinnerung – „Der Jugend Zauber“ liegt über der Stadt. Diese persönliche Vergangenheit verwandelt den scheinbar trostlosen Ort in einen bedeutungsvollen Raum. Es ist nicht die äußere Schönheit, sondern das Erlebte, das den Ort liebenswert macht.

Storm gelingt es in diesem Gedicht meisterhaft, die Tiefe von Heimatgefühl und Erinnerung zu zeigen. Die Stadt bleibt äußerlich grau und einsam, doch in der subjektiven Erfahrung wird sie zum Ort innerer Wärme. „Die Stadt“ ist so ein leises, aber kraftvolles Gedicht über Bindung, über die Liebe zu einem Ort, die nicht aus seiner Schönheit, sondern aus seinem persönlichen Gehalt erwächst.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.