Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , ,

Der Dichter

Von

Ich lad euch, schöne Damen, kluge Herrn,
Und die ihr hört und schaut was Gutes gern,
Zu einem funkelnagelneuen Spiel
Im allerfunkelnagelneusten Stil;
Schlicht ausgedrechselt, kunstlos zugestutzt,
Mit edler deutscher Roheit aufgeputzt,
Keck wie ein Bursch im Stadtsoldatenstrauß,
Dazu wohl auch ein wenig fromm fürs Haus:
Das mag genug mir zur Empfehlung sein,
Wem die behagt, der trete nur herein.
Erhoffe, weil es grad ist Winterzeit,
Tut euch ein Stündlein hier im Grün nicht leid;
Denn wißt es nur, daß heut in meinem Lied
Der Lenz mit allen seinen Blumen blüht.
Im Freien geht die freie Handlung vor,
In reiner Luft, weit von der Städte Tor,
Durch Wald und Feld, in Gründen, auf den Höhn;
Und was nur in vier Wänden darf geschehn,
Das schaut ihr halb durchs offne Fenster an,
So ist der Kunst und euch genug getan.

Doch wenn ihr nach des Spiels Personen fragt,
So kann ich euch, den Musen sei’s geklagt,
Nur eine präsentieren recht und echt,
Das ist ein junger blonder Müllersknecht.
Denn, ob der Bach zuletzt ein Wort auch spricht,
So wird ein Bach deshalb Person noch nicht.
Drum nehmt nur heut das Monodram vorlieb:
Wer mehr gibt, als er hat, der heißt ein Dieb.

Auch ist dafür die Szene reich geziert,
Mit grünem Sammet unten tapeziert,
Der ist mit tausend Blumen bunt gestickt,
Und Weg und Steg darüber ausgedrückt.
Die Sonne strahlt von oben hell herein
Und bricht in Tau und Tränen ihren Schein,
Und auch der Mond blickt aus der Wolken Flor
Schwermütig, wie’s die Mode will, hervor.
Den Hintergrund umkränzt ein hoher Wald,
Der Hund schlägt an, das muntre Jagdhorn schallt;
Hier stürzt vom schroffen Fels der junge Quell
Und fließt im Tal als Bächlein silberhell;
Das Mühlrad braust, die Werke klappern drein,
Man hört die Vöglein kaum im nahen Hain.
Drum denkt, wenn euch zu rauh manch Liedchen klingt,
Daß das Lokal es also mit sich bringt.
Doch, was das Schönste bei den Rädern ist,
Das wird euch sagen mein Monodramist;
Verriet‘ ich’s euch, verdürb ich ihm das Spiel:
Gehabt euch wohl und amüsiert euch viel!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Dichter von Wilhelm Müller

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht Der Dichter von Wilhelm Müller ist eine augenzwinkernde, selbstironische Einleitung zu einem lyrischen Werk – konkret zur Gedichtsammlung Die schöne Müllerin, die später von Franz Schubert vertont wurde. In kunstvoll-verspielter Sprache präsentiert sich der Dichter hier als Gastgeber eines literarischen Spiels und gewährt dem Publikum einen humorvollen Blick hinter die Kulissen seines poetischen Schaffens.

Bereits der erste Vers ist eine Einladung an ein gemischtes, breites Publikum – „schöne Damen, kluge Herrn“ –, wobei der Dichter augenblicklich die Bühne seiner Dichtung eröffnet. Dabei spielt er mit den Erwartungen: Das Werk sei „funkelnagelneu“, „kunstlos zugestutzt“ und zugleich mit „edler deutscher Roheit“ versehen. Die absichtlich widersprüchliche Beschreibung parodiert den Kunstbetrieb und betont die Eigenwilligkeit des Stils – schlicht, derb, doch „ein wenig fromm fürs Haus“, also für jedermann geeignet.

Mit feiner Ironie weist Müller darauf hin, dass sein „Spiel“ eigentlich nur aus einer Person besteht: dem jungen Müllersknecht, der später zum Protagonisten des Zyklus wird. Diese ironische Bemerkung über das „Monodram“ verweist auf die lyrische Form der Erzählung – es gibt keine dramatische Handlung im klassischen Sinne, sondern eine innere Entwicklung, dargestellt aus der Perspektive einer einzigen Figur.

Der Naturraum, in dem sich das Geschehen abspielt, wird in der zweiten Hälfte des Gedichts ausführlich geschildert: Wald, Bach, Mühle, Tiere und das Wetter – alles erscheint lebendig und detailreich, fast wie eine romantische Bühnenkulisse. Dabei ist auch die Inszenierung selbstreflexiv: Der Dichter macht sein Publikum darauf aufmerksam, dass die Natur nicht nur Hintergrund, sondern Mitgestalterin der Stimmung ist. Dass manches Lied „rau“ klingt, liege am „Lokal“, also an der Naturumgebung – eine elegante Vorwegnahme möglicher Kritik.

Insgesamt ist Der Dichter eine poetische Metareflexion: Wilhelm Müller verbindet romantische Naturlyrik, Humor und selbstkritische Distanz. Das Gedicht wirkt wie eine liebevoll-ironische Einführung in die Welt der „schönen Müllerin“ und verrät dabei viel über das romantische Selbstverständnis des Dichters: ein sensibler Vermittler zwischen Natur, Gefühl und Kunst – nicht belehrend, sondern einladend und unterhaltsam.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.