Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , ,

König Etzels Schwert

Von

Der Kaiser spricht zu Ritter Hug:
„Du hast für mich dein Schwert verspellt,
Des Eisens ist bei mir genug,
Geh, wähl dir eins, das dir gefällt!“

Hug schreitet durch den Waffensaal,
Wo stets der graue Schaffner sitzt.
„Der Kaiser gibt mir freie Wahl
Aus allem, was da hangt und blitzt!“

Er prüft und wägt. Von ihrem Ort
Langt er die Schwerter mannigfalt –
„Sprich, wessen ist das große dort,
Gewaltig, heidnisch, ungestalt?“

„Des Würgers Etzel!“ flüstert scheu
Der Graue, der es hält in Hut.
„Des Hunnenkönigs! Meiner Treu,
So lechzt und dürstet es nach Blut!“

„Lass ruhn. Es hat genug gewürgt!
Die tote Wut erwecke nicht!“
„Gib her! Dem ist der Sieg verbürgt,
Der mit dem Schwert des Hunnen ficht!“

Und wieder sprengt er in den Kampf.
„Du hast dich lange nicht geletzt,
Schwert Etzels, an des Blutes Dampf!
Drum freue dich und trinke jetzt!“

Er schwingt es weit, er mäht und mäht
Und Etzels Schwert, es schwelgt und trinkt,
Bis müd die Sonne niedergeht
Und hinter rote Wolken sinkt.

Als längst er schon im Mondlicht braust,
Wird ihm der Arm vom Schlagen matt,
Er frägt das Schwert in seiner Faust:
„Schwert Etzels, bist noch nicht du satt?

Lass ab! Heut ist genug getan!“
Doch weh, es weiß von keiner Rast,
Es hebt ein neues Morden an
Und trifft und frisst, was es erfasst.

„Lass ab!“ Es zuckt in grauser Lust,
Der Ritter stürzt mit seinem Pferd
Und jubelnd sticht ihn durch die Brust
Des Hunnen unersättlich Schwert.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: König Etzels Schwert von Conrad Ferdinand Meyer

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „König Etzels Schwert“ von Conrad Ferdinand Meyer ist eine düstere Ballade über Macht, Gewalt und die unkontrollierbare Natur des Krieges. Im Zentrum steht ein sagenumwobenes Schwert – einst im Besitz des Hunnenkönigs Etzel –, das mehr als bloßes Kriegswerkzeug erscheint: Es ist ein eigenständiger, blutdürstiger Akteur, eine Verkörperung der destruktiven Kraft, die sich dem Menschen entzieht und ihn schließlich selbst vernichtet.

Der Ritter Hug erhält vom Kaiser die Erlaubnis, sich ein neues Schwert zu wählen. Dabei entscheidet er sich nicht für eine gewöhnliche Waffe, sondern für das legendäre, „gewaltige, heidnische“ Schwert Etzels. Trotz der Warnung des Schaffners, dass dieses Schwert nach Blut lechze und besser ruhen solle, greift Hug aus Hochmut, Ruhmsucht oder schlichtem Vertrauen in seine Kraft zur gefährlichen Waffe. Damit beginnt eine unheilvolle Entwicklung, denn das Schwert ist mehr als Metall – es ist von einem eigenständigen, dämonischen Willen beseelt.

Im Gefecht zeigt sich rasch die zerstörerische Macht des Schwertes: Hug mäht mit ihm wie ein Schnitter, das Schwert „schwelgt und trinkt“, es führt ein Eigenleben und stillt sich am „Blutes Dampf“. Die Sonne sinkt hinter „rote Wolken“ – ein Bild, das den Kampf wie ein apokalyptisches Gemälde erscheinen lässt. Doch auch nachdem Hug sich müde gekämpft hat, zeigt das Schwert keine Erschöpfung. Es kennt kein Maß, keine Vernunft, kein Ziel außer der endlosen Zerstörung.

Als Hug schließlich das Schwert zur Mäßigung ruft, widersetzt es sich: In „grauser Lust“ richtet es sich gegen seinen eigenen Träger. Hug wird von der eigenen Waffe getötet – ein bitteres Ende, das die zentrale Botschaft des Gedichts deutlich macht. Wer sich einer unheilvollen Macht bedient, kann sie nicht beherrschen; sie wendet sich schließlich gegen ihn selbst.

„König Etzels Schwert“ ist eine Parabel auf den Krieg, auf das unkontrollierbare Ausmaß von Gewalt und auf die Selbstzerstörung des Menschen durch seine eigenen Mittel. Meyer verbindet hier mythische Stoffe mit einer psychologischen und moralischen Tiefe, wie sie für seine Balladen typisch ist. Das Schwert wird zum Symbol einer entfesselten Gewalt, deren Grauen sich der Mensch aus Übermut oder Machtgier selbst aufbürdet – und daran scheitert.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.