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Priamus und Achilles

Von

An des Idas dunkeln Höhen
Hängt des Mondes stille Pracht,
Und es rauschet in dem Tale
Nur der Xanthus durch die Nacht.
Alle Flammen sind erloschen,
Und es ruht der Griechen Heer –
Einsam nur im stillen Zelte
Sitzt Achilleus tränenschwer.

Ausgetobt hat seine Rache,
Sehnsucht schwellt die Heldenbrust
Nach den Manen seines Freundes,
Seiner Jugend hoher Lust.
Nach der Dioskuren Sterne
Sendet er den trüben Blick,
Nur das Traumbild ihrer Liebe
Sendet das Gestirn zurück.

Ob der Schatten sich begnüge,
Daß des tapfern Feindes Blut,
Von dem Rächerstahl vergossen,
Färbte des Skamanders Flut,
Daß der Held am Siegerwagen
Dreimal durch die bange Flur
Hinzog seines Feindes Leiche
In der blutbespritzten Spur?

Und so sinnt er, und so schaut ihn
Nur der Fackel trüber Schein,
Da rauscht auf des Zeltes Decke –
Schwebt ein Schatten zu ihm ein?
Groß ist die Gestalt zu schauen,
Wenn gebeugt auch, hoch und hehr,
Milde Silberlocken wallen
Um ein Greisenantlitz her.

Sprachlos mißt Achill die Züge,
Diese Züge ernst und mild,
Ob sein Aug ihm täuschend lüge?
Ist es Priams Heldenbild?
Eh die Frag entflieht der Lippe,
Ist der Greis ihm zugewandt,
Schaut ihm weinend in das Auge,
Faßt ihn flehend an der Hand.

»Denke nicht des Krieges Lose,
Der die Völker blutig trennt,
Denke nur des Vaters Schmerzen,
Der nur seine Lieben kennt.
Hier ist Gold, o nimm die Gaben,
Gib mir meinen Sohn zurück,
Daß noch einmal auf ihm weile
Seines Vaters trüber Blick.

Wende nicht so stolz die Blicke,
Laß mir, laß mir deine Hand!
Welche Namen muß ich rufen?
Kennst du nicht das zarte Band,
Das die Gattin eint dem Gatten,
Das das Kind dem Vater eint?
Ach! Andromache harrt unser
Und sein Astyanax weint.

Bei der Liebe deines Vaters –
Sind nicht seine Haare weiß
Wie der Greis, der zu dir flehet;
Harret nicht der edle Greis
Der Umarmung seines Sohnes,
Eh er zu den Vätern geht?
Bei der Liebe deines Vaters
Höre, was ein Vater fleht!«

Und das Auge geht ihm über
Von unnennbar tiefem Schmerz,
Und es dringt des Greisen Klage
Durch des Panzers rauhes Erz.
»Du vergibst, Patroklos′ Schatten,
Wenn des Freundes Herz erliegt –
Nimm den Sohn, zieh hin im Frieden,

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Gedicht: Priamus und Achilles von Wilhelm Hauff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Priamus und Achilles“ von Wilhelm Hauff entfaltet eine ergreifende Szene aus dem Trojanischen Krieg, die sich von den kriegerischen Auseinandersetzungen abwendet und sich auf menschliche Emotionen konzentriert. Es zeigt das Zusammentreffen des griechischen Helden Achilles mit dem trojanischen König Priamos, der gekommen ist, um die Leiche seines Sohnes Hektor zu erbitten. Der Konflikt wird hier nicht durch Waffen, sondern durch die Macht der Trauer und der väterlichen Liebe ausgetragen.

Hauff beginnt mit einer Beschreibung der nächtlichen Szenerie, die von Ruhe und Stille geprägt ist, bevor Achilles allein und betrübt gezeigt wird. Seine Rache ist vollzogen, doch nun quält ihn die Sehnsucht nach seinem verstorbenen Freund Patroklos. Diese Einleitung bereitet den Leser auf die Ankunft von Priamos vor, der sich in seiner Verzweiflung überwindet und in das Zelt seines Feindes tritt. Die Beschreibung des greisen Königs, der seine Bitte in flehenden Worten vorträgt, ist von großer Emotionalität geprägt.

Der Kern des Gedichts liegt in dem Dialog zwischen Achilles und Priamos. Der König appelliert an die väterlichen Gefühle des griechischen Helden, indem er an die Liebe zu seinem eigenen Vater erinnert und die Sehnsucht nach dem Sohn beschreibt, der nun tot ist. Er fleht um die Rückgabe der Leiche Hektors und bietet Gold als Gegenleistung an. Der Dichter verwendet eindringliche Bilder, um die Verzweiflung des Königs und die Tragweite seines Verlustes zu verdeutlichen. Die Frage nach dem zarten Band zwischen Eltern und Kindern und die Erwähnung von Andromache und Astyanax verstärken die emotionale Wirkung.

Die Stärke des Gedichts liegt in der Gegenüberstellung von Krieg und Menschlichkeit. Während Achilles zuvor von Wut und Rache getrieben war, berührt ihn nun die väterliche Liebe und Trauer des Priamos. Die letzte Strophe deutet auf die Versöhnung und das Ende des Konflikts hin, da Achilles nachgibt und dem König erlaubt, seinen Sohn zu bestatten. Hauff hebt hier die universellen menschlichen Werte wie Liebe, Mitgefühl und Vergebung hervor, die selbst in den dunkelsten Zeiten des Krieges von Bedeutung sind. Das Gedicht ist somit eine eindringliche Mahnung an die Kraft der Empathie und die Überwindung von Hass.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

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