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Waldlieder

Von

1.

Am Kirchhof dort bin ich gestanden,
Wo unten still das Rätsel modert
Und auf in Grabesrosen lodert;
Es blüht die Welt in Todesbanden.

Dort lächelt auf die Gräber nieder
Mit himmlisch duldender Gebärde
Vom Kreuz das höchste Bild der Erde;
Ein Vogel drauf, sang seine Lieder.

Doch kaum daß sie geklungen hatten,
Flog scheu zum Wald zurück der Wilde;
Ich sang, wie er, ein Lied dem Bilde
Und kehrte heim in meine Schatten.

Natur! will dir ans Herz mich legen!
Verzeih, daß ich dich konnte meiden,
Daß Heilung ich gesucht für Leiden,
Die du mir gabst zum herben Segen.

In deinen Waldesfinsternissen
Hab ich von mancher tiefen Ritze,
Durch die mir leuchten deine Blitze,
Den trüglichen Verband gerissen.

2.

Die Vögel fliehn geschwind
Zum Nest im Wetterhauche,
Doch schleudert sie der Wind
Weitab von ihrem Strauche.

Das Wild mit banger Hast
Ist ins Gebüsch verkrochen;
Manch grünend frischer Ast
Stürzt nieder, sturmgebrochen.

Das Heer der Wolken schweift
Mit roten Blitzesfahnen,
Aufspielend wirbelt, pfeift
Die Bande von Orkanen.

Das Bächlein, sonst so mild,
Ist außer sich geraten,
Springt auf an Bäumen wild,
Verwüstend in die Saaten.

Der Donner bricht herein,
Es kracht die Welt in Wettern,
Als wollt am Felsgestein
Der Himmel sich zerschmettern.

Der Regen braust; nun schwand
Das Tal in seiner Dichte;
Verpfählt hat er das Land
Vor meinem Augenlichte.

Doch mir im Herzensgrund
Ist Heiterkeit und Stille;
Mir wächst in solcher Stund
Und härtet sich der Wille.

3.

Durch den Hain mit bangem Stoße
Die Gewitterlüfte streichen;
Tropfen sinken, schwere, große,
Auf die Blätter dieser Eichen.

An ein banges Herzensklopfen
Mahnt mich dieser Bäume Schwanken,
Mahnt mich an Gewittertropfen,
Die aus lieben Augen sanken.

Muß ein großer Schmerz in Zähren
Sich entlasten unaufhaltsam,
Stürzen ihm die großen, schweren
Tropfen plötzlich und gewaltsam.

War die Träne noch zu fassen,
Kam sie nicht hervorgebrochen,
Denn der Schmerz will sie nicht lassen,
Will sie heißer, herber kochen.

O! es waren heiße, herbe,
Die aus ihren Augen quollen;
Und ich werde, bis ich sterbe,
Sehen diese Tränen rollen.

4.

Bist fremd du eingedrungen,
So fürcht Erinnerungen,
Sie stürzen auf Waldwegen
Wie Räuber dir entgegen.

Willst du im Walde weilen,
Um deine Brust zu heilen,
So muß dein Herz verstehen
Die Stimmen, die dort wehen.

In froher Kinder Kreise
Verjüngen sich die Greise,
Und Grambeladne werden
Noch einmal froh auf Erden.

Verjüngender doch wirken
In heimlichen Bezirken,
Im Schoß der Waldesnächte
Natur und ihre Mächte.

Hier quillt die träumerische,
Urjugendliche Frische,
In ahndungsvoller Hülle
Die ganze Lebensfülle.

Es rauschet wie ein Träumen
Von Liedern in den Bäumen,
Und mit den Wellen ziehen
Verhüllte Melodien.

Im Herzen wird es helle,
Und heim zum ewgen Quelle
Der Jugend darfst du sinken,
Dich frisch und selig trinken.

Sehnsüchtig zieht entgegen
Natur auf allen Wegen,
Als schöne Braut im Schleier,
Dem Geiste, ihrem Freier.

Tautropfen auf den Spitzen
Der dunklen Halme blitzen
Wie helle Liebeszähren,
Ein süß nach Ihm Begehren.

Sie schweigt in Sehnsucht lauschend,
Dann plötzlich, freudig rauschend,
Scheint selig sie zu spüren,
Daß er sie heim wird führen.

All ihre Pulse beben,
In ihm, in ihm zu leben,
Von ihm dahinzusinken,
Den Todeskuß zu trinken.

So lauscht und rauscht die Seele,
Daß Gott sich ihr vermähle,
Fühlt schon den Odem wehen,
In dem sie wird vergehen.

5.

Wie Merlin
Möcht ich durch die Wälder ziehn;
Was die Stürme wehen,
Was die Donner rollen
Und die Blitze wollen,
Was die Bäume sprechen,
Wenn sie brechen,
Möcht ich wie Merlin verstehen.

Voll Gewitterlust
Wirft im Sturme hin
Sein Gewand Merlin,
Daß die Lüfte kühlen,
Blitze ihm bespülen
Seine nackte Brust.

Wurzelfäden streckt
Eiche in den Grund,
Unten saugt versteckt
Tausendfach ihr Mund
Leben aus geheimen Quellen,
Die den Stamm gen Himmel schwellen.

Flattern läßt sein Haar Merlin
In der Sturmnacht her und hin,
Und es sprühn die feurig falben
Blitze, ihm das Haupt zu salben;
Die Natur, die offenbare,
Traulich sich mit ihm verschwisternd,
Tränkt sein Herz, wenn Blitze knisternd
Küssen seine schwarzen Haare. – –

Das Gewitter ist vollbracht,
Stille ward die Nacht;
Heiter in die tiefsten Gründe
Ist der Himmel nach dem Streite;
Wer die Waldesruh verstünde
Wie Merlin, der Eingeweihte!

Frühlingsnacht! kein Lüftchen weht,
Nicht die schwanksten Halme nicken,
Jedes Blatt, von Mondesblicken
Wie bezaubert, stille steht.

Still die Götter zu beschleichen
Und die ewigen Gesetze,
In den Schatten hoher Eichen
Wacht der Zaubrer, einsam sinnend,
Zwischen ihre Zweige spinnend
Heimliche Gedankennetze.
Stimmen, die den andern schweigen,
Jenseits ihrer Hörbarkeiten,
Hört Merlin vorübergleiten,
Alles rauscht im vollen Reigen
Denn die Königin der Elfen
Oder eine kluge Norn
Hält, dem Sinne nachzuhelfen,
Ihm ans Ohr ein Zauberhorn.
Rieseln hört er, springend schäumen
Lebensfluten in den Bäumen;
Vögel schlummern auf den Ästen
Nach des Tages Liebesfesten,
Doch ihr Schlaf ist auch beglückt;
Lauschend hört Merlin entzückt
Unter ihrem Brustgefieder
Träumen ihre künftgen Lieder.
Klingend strömt des Mondes Licht
Auf die Eich und Hagerose,
Und im Kelch der feinsten Moose
Tönt das ewige Gedicht.

6.

Der Nachtwind hat in den Bäumen
Sein Rauschen eingestellt,
Die Vögel sitzen und träumen
Am Aste traut gesellt.

Die ferne schmächtige Quelle,
Weil alles andre ruht,
Läßt hörbar nun Welle auf Welle
Hinflüstern ihre Flut.

Und wenn die Nähe verklungen,
Dann kommen an die Reih
Die leisen Erinnerungen
Und weinen fern vorbei.

Daß alles vorübersterbe,
Ist alt und allbekannt;
Doch diese Wehmut, die herbe,
Hat niemand noch gebannt.

7.

Schläfrig hangen die sonnenmüden Blätter,
Alles schweigt im Walde, nur eine Biene
Summt dort an der Blüte mit mattem Eifer;
Sie auch ließ vom sommerlichen Getöne,
Eingeschlafen vielleicht im Schoß der Blume.
Hier, noch Frühlings, rauschte die muntre Quelle;
Still versiegend ist in die Luft zergangen
All ihr frisches Geplauder, helles Schimmern.
Traurig kahlt die Stätte, wo einst ein Quell floß;
Horchen muß ich noch dem gewohnten Rauschen,
Ich vermisse den Bach, wie liebe Grüße,
Die sonst fernher kamen, nun ausgeblieben.
Alles still, einschläfernd, des dichten Mooses
Sanft nachgiebige Schwellung ist so ruhlich;
Möge hier mich holder Schlummer beschleichen,
Mir die Schlüssel zu meinen Schätzen stehlen
Und die Waffen entwenden meines Zornes,
Daß die Seele, rings nach außen vergessend,
Sich in ihre Tiefen hinein erinnre.
Preisen will ich den Schlummer, bis er leise
Naht in diesem Dunkel und mir das Aug schließt.
Schlaf, du kindlicher Gott, du Gott der Kindheit!
Du Verjünger der Welt, die, dein entbehrend,
Rasch in wenig Stunden wäre gealtert.
Wundertätiger Freund, Erlöser des Herzens!
Rings umstellt und bewacht am hellen Tage
Ist das Herz in der Brust und unzugänglich
Für die leiseren Genien des Lebens,
Denn ihm wandeln voran auf allen Wegen
Die Gedanken, bewaffnet, als Liktoren,
Schreckend und verscheuchend lieblichen Zauber.
Aber in der Stille der Nacht, des Schlummers,
Wacht die Seele heimlich und lauscht wie Hero,
Bis verborgen ihr Gott ihr naht, herüber
Schwimmend durch das wallende Meer der Träume.

Eine Flöte klang mir im Schlaf zuweilen,
Wie ein Gesang der Urwelt, Sehnsucht weckend,
Daß ich süß erschüttert erwacht‘ in Tränen
Und noch lange hörte den Ruf der Heimat;
Bliebe davon ein Hauch in meinen Liedern!

Schlaf, melodischer Freund, woher die Flöte?
Ist sie ein Ast des Walds, durchhaucht vom Gotte,
Hört ich im Traum des heiligen Pan Syringe?

8.

Abend ists, die Wipfel wallen,
Zitternd schon im Purpurscheine,
Hier im lenzergriffnen Haine
Hör ich noch die Liebe schallen.

Kosend schlüpfen durch die Äste
Muntre Vöglein, andre singen,
Rings des Frühlings Schwüre klingen,
Daß die Liebe ist das beste.

Wo die frischen Wellen fließen,
Trinken Vöglein aus der Quelle,
Keins will unerquickt zur Stelle
Seinen Tagesflug beschließen.

Wie ins dunkle Dickicht schweben
Vöglein nach dem Frühlingstage,
Süß befriedigt, ohne Klage,
Möcht ich scheiden aus dem Leben;

Einmal nur, bevor mirs nachtet,
An den Quell der Liebe sinken,
Einmal nur die Wonne trinken,
Der die Seele zugeschmachtet,

Wie vor Nacht zur Flut sich neigen
Dort des Waldes durstge Sänger;
Gern dann schlaf ich, tiefer, länger,
Als die Vöglein in den Zweigen.

9.

Rings ein Verstummen, ein Entfärben;
Wie sanft den Wald die Lüfte streicheln,
Sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln;
Ich liebe dieses milde Sterben.

Von hinnen geht die stille Reise,
Die Zeit der Liebe ist verklungen,
Die Vögel haben ausgesungen,
Und dürre Blätter sinken leise.

Die Vögel zogen nach dem Süden
Aus dem Verfall des Laubes tauchen
Die Nester, die nicht Schutz mehr brauchen,
Die Blätter fallen stets, die müden.

In dieses Waldes leisem Rauschen
Ist mir, als hör ich Kunde wehen,
Daß alles Sterben und Vergehen
Nur heimlichstill vergnügtes Tauschen.

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Gedicht: Waldlieder von Nikolaus Lenau

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedichtzyklus „Waldlieder“ von Nikolaus Lenau ist eine vielschichtige, neunteilige lyrische Reflexion über Natur, Schmerz, Trost, Erinnerung und die tiefe Verbindung zwischen Mensch und Natur. Der Wald erscheint dabei nicht nur als Kulisse, sondern als seelischer Resonanzraum und spiritueller Gegenpol zur Zivilisation – ein Ort des Rückzugs, der Erkenntnis und auch der Verwandlung.

Im ersten Lied beginnt der Zyklus mit einem Bild des Todes: Der Sprecher steht am Kirchhof, erlebt das Kreuz, die Grabesblumen und den Vogelgesang als geheimnisvolle Zeichen eines höheren Zusammenhangs von Leben, Leid und Trost. In dieser Konfrontation mit dem Tod kehrt sich der Blick zur Natur, die zur eigentlichen Gefährtin und Heilerin wird. Die folgenden Teile vertiefen diese Beziehung – der Wald wird zur inneren Welt, in der die Naturkräfte den Schmerz nicht nur widerspiegeln, sondern auch helfen, ihn zu verwandeln.

Der zweite und dritte Abschnitt greifen die Erfahrung des Gewitters auf, das einerseits zerstörerisch ist, andererseits im lyrischen Ich Heiterkeit und Willensstärke weckt. Naturgewalten symbolisieren hier psychische Prozesse: Angst, Leid, aber auch Läuterung. Tränen werden mit Regentropfen und das Zittern der Bäume mit Herzklopfen verglichen – ein starkes Beispiel für Lenaus feinfühlige Naturpsychologie. In den leisen Momenten des Waldes, wie im vierten oder sechsten Lied, erscheinen Erinnerungen und Wehmut, aber auch eine Hoffnung auf innere Erneuerung.

Besonders deutlich wird Lenaus Sehnsucht nach einem mystischen Einswerden mit der Natur im fünften Lied, das die Figur des Merlin aufgreift. Der Wald wird zum geheimen Wissensraum, in dem der Dichter – wie der mythische Zauberer – die Sprache der Bäume, der Tiere und der Elemente zu verstehen sucht. Es ist eine poetische Vision von Einsicht, Offenbarung und fast panischer Vereinigung mit der Natur als göttlicher Kraft. Auch die Rolle des Schlafes als befreiendes, verjüngendes Prinzip (Teil 7) und die symbolische Darstellung von Liebe, Vergehen und Erlösung (Teile 8 und 9) verstärken die Grundstimmung einer sanften, melancholischen Vergeistigung.

Insgesamt sind die „Waldlieder“ ein poetisches Bekenntnis zur Natur als Spiegel der Seele, als Ort des Trostes, der Selbsterkenntnis und der transzendenten Erfahrung. Lenaus Sprache ist dabei zugleich zart und bildreich, musikalisch und durchwirkt von tiefer Sehnsucht. Die zyklische Struktur – vom Tod am Anfang bis zum sanften Vergehen am Schluss – rahmt ein lyrisches Weltbild, in dem die Natur nicht nur äußere Welt, sondern innere Wahrheit ist.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.