Durch einen Nachbarsgarten ging der Weg,
Wo blaue Schlehn im tiefen Grase standen;
Dann durch die Hecke über schmalen Steg
Auf einer Wiese, die an allen Randen
Ein hoher Zaun vielfarb′gen Laubs umzog;
Buscheichen unter wilden Rosenbüschen,
Um die sich frei die Geißblattranke bog,
Brombeergewirr und Hülsendorn dazwischen;
Vorbei an Farrenkräutern wob der Eppich
Entlang des Walles seinen dunklen Teppich.
Und vorwärtsschreitend störte bald mein Tritt
Die Biene auf, die um die Distel schwärmte,
Bald hörte ich, wie durch die Gräser glitt
Die Schlange, die am Sonnenstrahl sich wärmte.
Sonst war es kirchenstill in alle Weite,
Kein Vogel hörbar; nur an meiner Seite
Sprang schnaufend ab und zu des Oheims Hund;
Denn nicht allein wär ich um solche Zeit
Gegangen zum entlegnen Waldesgrund;
Mir graute vor der Mittagseinsamkeit. –
Heiß war die Luft, und alle Winde schliefen;
Und vor mir lag ein sonnig offner Raum,
Wo quer hindurch schutzlos die Steige liefen.
Wohl hatt ich′s sauer und ertrug es kaum;
Doch rascher schreitend überwand ich′s bald.
Dann war ein Bach, ein Wall zu überspringen;
Dann noch ein Steg, und vor mir lag der Wald,
In dem schon herbstlich rot die Blätter hingen.
Und drüberher, hoch in der blauen Luft,
Stand beutesüchtig ein gewalt′ger Weih,
Die Flügel schlagend durch den Sonnenduft;
Tief aus der Holzung scholl des Hähers Schrei.
Herbstblätterduft und Tannenharzgeruch
Quoll mir entgegen schon auf meinem Wege,
Und dort im Walle schimmerte der Bruch,
Durch den ich meinen Pfad nahm ins Gehege.
Schon streckten dort gleich Säulen der Kapelle
Ans Laubgewölb die Tannenstämme sich;
Dann war′s erreicht, und wie an Kirchenschwelle
Umschauerte die Schattenkühle mich.
Waldweg
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Waldweg“ von Theodor Storm beschreibt eine Wanderung durch eine herbstliche Landschaft, wobei der Autor die Sinneseindrücke und die Atmosphäre der Natur einfühlsam einfängt. Die Beschreibung beginnt mit dem Weg durch einen Nachbarsgarten und führt über eine Wiese, durch Büsche und entlang eines Walles, wobei die vielfältige Vegetation in den Vordergrund gerückt wird. Die Verwendung von detaillierten Beschreibungen wie „blaue Schlehn“, „Geißblattranke“ und „Farrenkräutern“ zeichnet ein lebendiges Bild der Natur.
Die Bewegung des lyrischen Ichs durch die Landschaft wird durch die Beobachtung von Insekten und Tieren wie Bienen und Schlangen verdeutlicht. Die Stille der Natur, unterbrochen nur vom Schnaufen des Hundes, betont die Einsamkeit des Wanderers und die Hitze des Tages. Die Sorge des Dichters, die Einsamkeit nicht alleine zu ertragen, wird durch die Anwesenheit des Hundes gemildert. Die Hitze und die Stille werden als herausfordernd empfunden, doch die Entschlossenheit, den Weg fortzusetzen, wird betont.
Die Wanderung mündet schließlich in den Wald, wo die herbstliche Farbgebung und die Gerüche von Harz und Blättern die Sinne des Dichters ansprechen. Die Begegnung mit einem Weih über dem Wald verstärkt die eindringliche Atmosphäre. Der Übergang in den Wald, mit den sich wie Säulen erhebenden Tannen und dem schattigen, kühlen Inneren, symbolisiert das Erreichen eines Ziels und eine Veränderung der Umgebung.
Die Struktur des Gedichts spiegelt den Weg des Wanderers wider. Die einzelnen Abschnitte, die durch die Beschreibungen von Pflanzen, Tieren und der Umgebung gekennzeichnet sind, bilden eine Reise durch die Landschaft. Die Verwendung von Adjektiven und detaillierten Beschreibungen erzeugt lebendige Bilder und vermittelt die Stimmung des Herbstes. Die abschließende Beschreibung der Kühle und der Ruhe des Waldes deutet auf eine innere Einkehr und ein Gefühl der Erleichterung hin, nachdem die Hitze und die Einsamkeit des Weges überwunden wurden.
Insgesamt ist „Waldweg“ ein Naturgedicht, das die Schönheit und die Atmosphäre des Herbstes einfühlsam darstellt. Durch die detailreiche Beschreibung der Landschaft und die Beobachtung der Natur wird eine meditative Stimmung erzeugt. Es handelt von dem Durchschreiten der Natur, der Auseinandersetzung mit der Einsamkeit und der Ankunft an einem Ort der Ruhe und des Schutzes.
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