Gedenkst du noch?
Gedenkst du noch, wenn in der Frühlingsnacht
Aus unserm Kammerfenster wir hernieder
Zum Garten schauten, wo geheimnisvoll
Im Dunkel dufteten Jasmin und Flieder?
Der Sternenhimmel über uns so weit,
Und du so jung; unmerklich geht die Zeit.
Wie still die Luft! Des Regenpfeifers Schrei
Scholl klar herüber von dem Meeresstrande;
Und über unsrer Bäume Wipfel sahn
Wir schweigend in die dämmerigen Lande.
Nun wird es wieder Frühling um uns her,
Nur eine Heimat haben wir nicht mehr.
Nun horch ich oft, schlaflos in tiefer Nacht,
Ob nicht der Wind zur Rückfahrt möge wehen.
Wer in der Heimat erst sein Haus gebaut,
Der sollte nicht mehr in die Fremde gehen!
Nach drüben ist sein Auge stets gewandt:
Doch eines blieb – wir gehen Hand in Hand.
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Gedenkst du noch?“ von Theodor Storm ist eine melancholische Rückschau auf vergangene Zeiten, die von Sehnsucht nach einer verlorenen Heimat und der Konstanz der Liebe geprägt ist. Es beginnt mit einer Erinnerung an eine gemeinsame Frühlingsnacht, in der die beiden Liebenden aus dem Fenster auf den blühenden Garten blickten, umgeben von Sternenhimmel und Düften. Diese Szene, beschrieben mit poetischen Bildern, evoziert eine Atmosphäre der Ruhe und Vertrautheit, die durch die Jugendlichkeit der Personen und die unaufhaltsame Zeit verstärkt wird.
Die zweite Strophe intensiviert die Nostalgie, indem sie die Stille und die Geräusche der Natur – der Schrei des Regenpfeifers vom Meer – hervorhebt, welche die Erinnerung an die verlorene Heimat verstärken. Diese Beschreibung der Umgebung verstärkt das Gefühl der Einheit und des gemeinsamen Erlebens, doch das Fehlen der Heimat wird hier bereits angedeutet, indem sie betonen, dass sie keine gemeinsame Heimat mehr haben. Der Frühling kehrt zurück, aber das Gefühl des „Zuhauseseins“ ist verschwunden, was die Vergänglichkeit der Zeit und die Unwiederbringlichkeit der vergangenen Momente betont.
In der dritten Strophe wird die aktuelle Situation des lyrischen Ichs beleuchtet. Die Sehnsucht nach der Vergangenheit und der Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat wird spürbar, dargestellt durch die schlaflosen Nächte und das Warten auf den Wind, der die Heimkehr ermöglichen könnte. Die Zeilen „Wer in der Heimat erst sein Haus gebaut, / Der sollte nicht mehr in die Fremde gehen!“ drücken eine tiefe Sehnsucht nach Sesshaftigkeit und Geborgenheit aus. Trotz der fehlenden Heimat und der Sehnsucht nach vergangenen Zeiten bleibt jedoch die gegenseitige Liebe und Unterstützung, die in dem Vers „Doch eines blieb – wir gehen Hand in Hand“ zum Ausdruck kommt.
Storms Gedicht ist somit eine Reflexion über die Vergänglichkeit, die Sehnsucht nach Heimat und die unerschütterliche Kraft der Liebe. Es ist ein melancholisches Bekenntnis, das die Schönheit vergangener Zeiten würdigt und gleichzeitig die Hoffnung auf eine Konstante in einer sich verändernden Welt bewahrt. Die schlichte Sprache und die einfachen Bilder machen das Gedicht zu einer ergreifenden Betrachtung über Verlust und die Bedeutung menschlicher Beziehungen.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.