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Die letzte Nacht

Von

Sie sinkt, die Nacht! sie sinkt auf Mohn und Flieder,
im Grabgewand, von Leichenduft umschwebt;
ein kalter Schauder bebt mir durch die Glieder,
indes der freie Geist sich zu entfesseln strebt.

Verhallt auf ewig sind der Hoffnung Lieder,
verrauscht der Freude goldnes Saitenspiel!
Kein Gott facht die verloschne Flamme wieder
im öden Busen an – ich bin am Ziel!

Ich hör‘ im Sturme, der die hohe Eiche
mit allmachtsvollem Arm zur Erde beugt,
im Schilfgeflüster, das am öden Teiche
sich traurig hin und her im Winde neigt,

Wie aus gebleichten Schädeln, hohl und düster,
der Abgeschiednen Stimme: folge mir!
und Schattenbilder wehn mit Grabgeflüster
zu mir heran, und hauchen: folge mir!

Ich folg‘ euch gern! Ach, an Unmöglichkeiten
verlosch des Lebens einst so schönes Licht! –
Wer zürnt dem Kranken, dem’s im Kampf mit seinen Leiden
zuletzt an Mut und inn’rer Kraft gebricht?

Vernimm, du Wesen, das ich ewig liebe:
dies Herz erträgt den bittern Kampf nicht mehr!
Vergebens rang es mit Vernunft und Liebe;
ihr Widerspruch wird seiner Kraft zu schwer!

Was soll, Geliebte! ohne dich das Leben,
dies bange Traumgebild, was soll es mir?
wo eines lacht, wenn tausend andre beben;
was kann ich lieben, wünschen – außer dir?

Ich eil‘ hinaus ins schaudervolle Öde,
Verändrung ist für mich Verbesserung.
Und schimmert jenseits keine Morgenröte:
im Schoß des Grabes blüht Beruhigung!

Ich lechze auf nach hellern Lebensblicken!
Gewißheit blüht aus der Verwesung Staub!
Dort will ich mir die Ätherblume pflücken –
zu lange war ich hier des Wahnes Raub!

Schon seh‘ ich Tau aus jener Wolke sinken;
schon fühl‘ ich mich vom Morgenhauch umbebt.
Wenn dieses Sternes letzte Strahlen blinken,
dann hat dein treuer Jüngling ausgelebt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die letzte Nacht von Sophie Friederike Brentano

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die letzte Nacht“ von Sophie Friederike Brentano ist eine melancholische Auseinandersetzung mit dem Tod, der als erlösende Flucht aus einem leidvollen Leben dargestellt wird. Der Titel deutet bereits auf das Thema hin, das durchgehend durch das Gedicht zieht: die Sehnsucht nach dem Tod als Befreiung von Schmerz und Hoffnungslosigkeit. Die Nacht, die „auf Mohn und Flieder“ sinkt, symbolisiert hier nicht nur den Beginn der Dunkelheit, sondern auch den Übergang zum Tod, der als friedliche Ruhe verheißen wird. Die Erwähnung von Mohn, einer Pflanze, die oft mit Schlaf und Tod assoziiert wird, verstärkt diesen Eindruck.

Die Verse sind von tiefer Verzweiflung geprägt, die sich in der Ablehnung des irdischen Lebens manifestiert. Der „freie Geist“, der sich entfesseln will, steht im Gegensatz zu den „verhallten“ Hoffnungen und dem „verrauschten“ Glück. Die Natur, personifiziert in Sturm und Schilfgeflüster, wird zur Bühne für die Rufe der Toten, die den Sprecher in die Welt der Schatten locken. Die Verwendung von Bildern wie „gebleichten Schädeln“ und „Grabgeflüster“ erzeugt eine beklemmende Atmosphäre, die die Dämonisierung des Todes verstärkt. Der Sprecher sieht sich nicht als Opfer, sondern als einen, der bereitwillig in den Tod geht, um der Hölle zu entkommen.

Die Liebe zu einer geliebten Person wird als einziger Grund für die Lebensbereitschaft genannt, doch selbst diese Liebe kann den Schmerz nicht mehr lindern. Die Zeilen „Was soll, Geliebte! ohne dich das Leben / dies bange Traumgebild, was soll es mir?“ zeigen die Verzweiflung des Sprechers, der das Leben ohne die Geliebte als sinnlos empfindet. Der Widerspruch zwischen Vernunft und Liebe, der als unüberwindbar wahrgenommen wird, trägt zusätzlich zur Entscheidung, dem Leben ein Ende zu setzen. Das Gedicht thematisiert so die Sehnsucht nach der Ewigkeit.

Die letzten Strophen offenbaren eine gewisse Hoffnung, die im Tod zu finden ist. Die „Veränderung“ wird als „Verbesserung“ gesehen, und die „Beruhigung“ im Schoß des Grabes als erstrebenswert. Die Sehnsucht nach „helleren Lebensblicken“ und die Hoffnung, „aus der Verwesung Staub“ „Gewissheit“ zu schöpfen, deuten auf eine transzendentale Hoffnung, die im Tod ihren Erfüllungsort findet. Das Gedicht endet mit dem Ausblick auf den Sonnenaufgang, der vom Sprecher als Moment des Übergangs in ein besseres Reich erwartet wird. So erlangt der Jüngling im Tod Erlösung.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.