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Der Minister

Von

Alles um des Volkes willen!
seht, ich lache selbst im stillen
dieser Bibeln und Postillen
und daß man so gläubig ist:
Ich, für mich, bin Atheist!
Doch das Volk, das Volk muß glauben!
Glauben heißt der Talisman,
dem die Erde untertan:
Wir die Adler, sie die Tauben!
Und das Volk, das Volk muß glauben,
glauben – oder doch so tun.

Täglich in die Kirche laufen,
himmlische Traktätchen kaufen
und mit Jordanwasser taufen,
samt dem christlichen Verein –
Nun, für mich sind′s Faselein.
Doch das Volk, das Volk muß beten!
Denkt, o denkt nur den Skandal,
wenn die Bürger auch einmal
gottlos, wie der Adel täten!
Nein, das Volk, das Volk muß beten,
beten – oder doch so tun.

Ja, wenn ich es recht ermesse,
kann vielleicht sogar die Presse
für Beamte und Noblesse
schon ein wenig freier sein.
Aber für die andern? Nein!
Nein fürwahr, das Volk muß schweigen.
Wer gehorchen will, sei stumm;
schweigend wird das Publikum
stets sich am loyalsten zeigen:
Drum das Volk, das Volk muß schweigen,
schweigen – oder doch so tun.

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Gedicht: Der Minister von Robert Eduard Prutz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Minister“ von Robert Eduard Prutz ist eine bissige Satire, die die Heuchelei und den Zynismus eines hohen Regierungsbeamten in der deutschen Vormärzzeit, also vor der Märzrevolution 1848, entlarvt. Der Minister, der scheinbar im Dienste des Volkes handelt, offenbart in seinen Äußerungen eine tiefe Verachtung sowohl für die religiösen als auch für die bürgerlichen Ideale, die er nach außen hin pflegt und vom Volk erwartet.

Die Struktur des Gedichts ist bemerkenswert: In jeder der drei Strophen wird ein Aspekt des Glaubens und Verhaltens des Volkes thematisiert – das Glauben, das Beten und das Schweigen. Der Minister gibt zu, all diese Dinge für sich persönlich zu verachten („Ich, für mich, bin Atheist!“, „Nun, für mich sind’s Faselein“). Doch das Volk, so seine Überzeugung, muss diese Dinge praktizieren. Durch diese Wiederholung des Musters in jeder Strophe wird die Scheinheiligkeit des Ministers und die Ungleichbehandlung von Obrigkeit und Volk deutlich. Der Minister betrachtet sich und seine Kollegen als Adler, das Volk als Tauben, was die Hierarchie und das Machtungleichgewicht klar verdeutlicht.

Die Verwendung des Imperativs („muss glauben“, „muss beten“, „muss schweigen“) in Verbindung mit dem Zusatz „oder doch so tun“ offenbart die Verachtung des Ministers für das Volk. Er erwartet vom Volk nicht nur äußerliches Verhalten, sondern auch die Heuchelei, die er selbst praktiziert. Diese Ironie unterstreicht die soziale Kluft und die manipulative Natur der politischen Elite. Die einfachen Reime und die klare Sprache verstärken die Wirkung der Satire, da sie die klaren Gegensätze und die moralische Verwerflichkeit des Ministers ungeschminkt darlegen.

Die letzte Strophe, die sich auf die Presse konzentriert, verstärkt das Bild der Unterdrückung. Während die Obrigkeit eine gewisse Freiheit genießt, wird dem Volk das Recht auf Meinungsäußerung verwehrt. Das „Schweigen“ des Volkes wird als entscheidend für die Aufrechterhaltung der Machtstruktur dargestellt. Prutz kritisiert hier nicht nur die religiöse Heuchelei, sondern auch die Zensur und die politische Unterdrückung, die im Deutschland seiner Zeit herrschten, und macht das Gedicht zu einem Appell für mehr Ehrlichkeit und Freiheit.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.