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Der Turm

Von

Erd-Inneres. Als wäre dort, wohin
du blindlings steigst, erst Erdenoberfläche,
zu der du steigst im schrägen Bett der Bäche,
die langsam aus dem suchenden Gerinn

der Dunkelheit entsprungen sind, durch die
sich dein Gesicht, wie auferstehend, drängt
und die du plötzlich siehst, als fiele sie
aus diesem Abgrund, der dich überhängt

und den du, wie es riesig über dir
sich umstürzt in dem dämmernden Gestühle,
erkennst, erschreckt und fürchtend, im Gefühle:
o wenn er steigt, behangen wie ein Stier -:

Da aber nimmt dich aus der engen Endung
windiges Licht. Fast fliegend siehst du hier
die Himmel wieder, Blendung über Blendung,
und dort die Tiefen, wach und voll Verwendung,

und kleine Tage wie bei Patenier,
gleichzeitige, mit Stunde neben Stunde,
durch die Brücken springen wie die Hunde,
dem hellen Wege immer auf der Spur,

den unbeholfne Häuser manchmal nur
verbergen, bis er ganz im Hintergrunde
beruhigt geht durch Buschwerk und Natur.

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Gedicht: Der Turm von Rainer Maria Rilke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Turm“ von Rainer Maria Rilke handelt von einem existentiellen Aufstieg und der damit einhergehenden Erfahrung von Verwandlung und Erkenntnis. Die ersten acht Zeilen beschreiben einen Abstieg in das Erdinnere, eine Reise in die Tiefen des Unterbewusstseins oder der Ursprünge. Der Leser wird in eine Welt der Dunkelheit und Unbestimmtheit geführt, in der die Orientierung verloren geht und die Wahrnehmung sich verflüssigt. Der „blinde“ Aufstieg suggeriert einen unbewussten, instinktgesteuerten Prozess, bei dem die Person sich in einem Zustand der Unsicherheit und des Umbruchs befindet.

Die Metapher des Turms wird in der zweiten Strophe intensiviert. Der Turm ist nicht nur ein Ort, sondern auch ein Symbol für die menschliche Existenz, die sich zwischen den Polen von Dunkelheit und Licht, Tiefe und Höhe bewegt. Die Zeilen „o wenn er steigt, behangen wie ein Stier -“ deuten auf eine bevorstehende Katastrophe, einen Aufbruch, der mit Furcht und Schrecken verbunden ist. Dieser Moment der Angst und des Schreckens ist ein wichtiger Bestandteil der Erfahrung, denn er markiert den Übergang von der Enge der Dunkelheit zur Weite des Lichts.

Die letzten beiden Strophen beschreiben den Aufstieg in die Freiheit und das Licht. Das „windige Licht“ und die „Himmel wieder“ deuten auf eine Befreiung und eine neue Perspektive. Die Wahrnehmung des Protagonisten weitet sich, er erblickt die Welt in ihrer ganzen Pracht, mit ihren Tiefen, ihrer Verwendung und ihrer Schönheit. Die „kleinen Tage“ und die „Brücken“, die „wie die Hunde“ springen, symbolisieren die Leichtigkeit und die Freude am Leben, die nach der Überwindung der Dunkelheit eintreten.

Abschließend lässt sich sagen, dass Rilkes „Der Turm“ eine poetische Reflexion über die menschliche Existenz darstellt, über die Notwendigkeit, sich den Tiefen zu stellen, um die Höhen erreichen zu können. Das Gedicht beschreibt eine Reise der Transformation, die mit Angst, aber auch mit Hoffnung verbunden ist. Es ist ein Aufruf zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Inneren und zur Suche nach dem Licht, das am Ende des Weges auf den Suchenden wartet. Die Verwendung von Bildern wie „windiges Licht“, „Blendung über Blendung“ und „kleine Tage“ verleiht dem Gedicht eine besondere Tiefe und macht es zu einem eindringlichen Zeugnis menschlicher Erfahrung.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.