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Der Ölbaumgarten

Von

Er ging hinauf unter dem grauen Laub
ganz grau und aufgelöst im Ölgelände
und legte seine Stirne voller Staub
tief in das Staubigsein der heißen Hände.

Nach allem dies. Und dieses war der Schluß.
Jetzt soll ich gehen, während ich erblinde,
und warum willst Du, daß ich sagen muß,
Du seist, wenn ich Dich selber nicht mehr finde.

Ich finde Dich nicht mehr. Nicht in mir, nein.
Nicht in den andern. Nicht in diesem Stein.
Ich finde Dich nicht mehr. Ich bin allein.

Ich bin allein mit aller Menschen Gram,
den ich durch Dich zu lindern unternahm,
der Du nicht bist. O namenlose Scham…

Später erzählte man, ein Engel kam-.

Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht
und blätterte gleichgültig in den Bäumen.
Die Jünger rührten sich in ihren Träumen.
Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht.

Die Nacht, die kam, war keine ungemeine;
so gehen hunderte vorbei.
Da schlafen Hunde, und da liegen Steine.
Ach eine traurige, ach irgendeine,
die wartet, bis es wieder Morgen sei.

Denn Engel kommen nicht zu solchen Betern,
und Nächte werden nicht um solche groß.
Die Sich-Verlierenden läßt alles los,
und die sind preisgegeben von den Vätern
und ausgeschlossen aus der Mütter Schoß.

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Gedicht: Der Ölbaumgarten von Rainer Maria Rilke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Ölbaumgarten“ von Rainer Maria Rilke handelt von der existenziellen Erfahrung der Gottesferne und des Alleinseins, einer tiefgreifenden Enttäuschung und der Frage nach der Sinnhaftigkeit des Glaubens. Die ersten beiden Strophen beschreiben eine innere Leere und Verzweiflung des lyrischen Ichs, das sich in einem Zustand der Auflösung und des Verlustes befindet. Die wiederholten Aussagen „Ich finde Dich nicht mehr“ unterstreichen die Erfahrung des Abhandenkommens Gottes, der nicht mehr im eigenen Inneren, in anderen Menschen oder in der Natur gefunden werden kann. Dies führt zu einer tiefen Einsamkeit, die durch die Zeile „Ich bin allein mit aller Menschen Gram“ noch verstärkt wird.

Die dritte Strophe gipfelt in der erschütternden Aussage „der Du nicht bist. O namenlose Scham…“ Hier wird die Leere, die durch das Fehlen Gottes entsteht, als Quelle der Scham und des Schmerzes identifiziert. Der vermeintliche Kontakt zu einer höheren Macht, der das Leid der Welt lindern sollte, ist gescheitert. Die kurze Erwähnung eines Engels in der letzten Zeile der Strophe 3, wirkt wie ein Hoffnungsschimmer, der jedoch sofort durch die folgenden Strophen wieder zerschlagen wird.

Die anschließenden Strophen setzen sich mit der Unerreichbarkeit des Göttlichen auseinander. Die Nacht, die „blättert“ und „gleichgültig“ erscheint, symbolisiert das kalte Universum, das sich nicht um die menschliche Not kümmert. Die wiederholte Frage „Warum ein Engel?“ unterstreicht die Erwartung und Sehnsucht nach einer himmlischen Intervention, die jedoch ausbleibt. Rilke zeichnet das Bild einer trostlosen Realität, in der die Hoffnung auf Trost und Erlösung durch göttliche Wesen vergeblich ist. Die Jünger in ihren Träumen sind ein weiteres Zeichen für die Unfähigkeit, die göttliche Gegenwart zu erfahren.

Die letzte Strophe vertieft die Verzweiflung, indem sie die Ausgestoßenheit der Gläubigen betont, die von Gott verlassen wurden. Diejenigen, die sich selbst verloren haben, werden verlassen und von der Welt getrennt, „preisgegeben von den Vätern“ und „ausgeschlossen aus der Mütter Schoß“. Der Verlust des Glaubens führt zu einer tiefen Isolation und dem Gefühl, von der Welt und der göttlichen Gnade getrennt zu sein. Das Gedicht endet somit in einem Zustand tiefster Verzweiflung und entlarvt die Vergänglichkeit und die Unaufhaltsamkeit des Lebens.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.