Alte Knaben sitzen auf den leersten Tonnen,
Und die Nächte siegen über alle Sonnen.
Hinten nagen unsichtbare weiße Mäuse
An dem bös zerbeulten großen Hirngehäuse.
Hör doch, wie die ganze Schädelhöhle quarrt!
Ist die alte Rinde »wirklich« noch so hart?
Alles geht zu Ende – auch der dickste Kopf
Ach, die weißen Mäuse haben dich am Schopf!
Glaubst du, Läuse sitzen bloß in deinem Puder?
Nein, du bist ein unverschämtes dummes Luder,
Und die Frechheit kommt in erster Reihe ran.
Delirium! Delirium!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Delirium! Delirium!“ von Paul Scheerbart ist ein expressionistisches Gedicht, das sich durch eine verstörende Bildsprache und einen deutlichen Bezug zu einem Zustand geistiger Verwirrung auszeichnet. Die Verwendung von Ausrufezeichen im Titel deutet bereits auf eine gesteigerte Emotionalität und den Versuch hin, den Leser in diesen Zustand hineinzuziehen. Es ist eine literarische Inszenierung des Zerfalls, sowohl des physischen als auch des psychischen Zustands.
Die ersten beiden Verse beschwören ein Gefühl des Niedergangs und des Umkippens der etablierten Ordnung. „Alte Knaben“ auf „leersten Tonnen“ suggerieren eine Entblößung, eine leere Hülle und die Sinnlosigkeit der Vergangenheit, während „die Nächte siegen über alle Sonnen“ den Sieg der Dunkelheit und des Verlustes über das Licht und die Hoffnung andeutet. Die folgenden Verse verstärken dieses Gefühl des Zerfalls durch das Bild der „unsichtbaren weißen Mäuse“, die „an dem bös zerbeulten großen Hirngehäuse“ nagen. Dieses beklemmende Bild steht für eine zerstörerische Kraft, die im Inneren des Menschen wirkt und das Gehirn, den Sitz des Denkens und der Identität, angreift.
Die folgenden Strophen verstärken den Eindruck des Wahnsinns und der Selbstverurteilung. Die rhetorische Frage „Hör doch, wie die ganze Schädelhöhle quarrt!“ deutet auf eine innere Zerrissenheit und das Aufbrechen der eigenen Struktur hin. Der zweite Teil des Gedichts steigert die Direktheit, indem er den Leser direkt anspricht und beschimpft. „Nein, du bist ein unverschämtes dummes Luder“, entlarvt die Illusionen und das Selbstverständnis. Die „Frechheit“ wird zur treibenden Kraft des Wahnsinns und der Selbstzerstörung erklärt.
Insgesamt ist das Gedicht eine Darstellung des menschlichen Zustands im Angesicht von Verfall, Wahnsinn und dem Scheitern der eigenen Identität. Scheerbart verwendet eine surreale und beunruhigende Bildsprache, um die beklemmende Erfahrung des Verlusts der Kontrolle und der Auflösung des Selbst darzustellen. Die Bedeutung des Gedichts liegt in seiner Fähigkeit, die Leser in einen Zustand des Unbehagens zu versetzen und sie mit den tiefsten Ängsten und dem Gefühl des Verlorenseins zu konfrontieren.
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Lizenz und Verwendung
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