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O Welt, sieh hier dein Leben

Von

O Welt, sieh hier dein Leben
am Stamm des Kreuzes schweben,
dein Heil sinkt in den Tod.
Der große Fürst der Ehren
läßt willig sich beschweren
mit Schlägen, Hohn und großem Spott.

Tritt her und schau mit Fleiße,
sein Leib ist ganz mit Schweiße
des Bluites überfüllt;
aus seinem edlen Herzen
vor unerschöpften Schmerzen
ein Seufzer nach dem andern quillt.

Wer hat dich so geschlagen,
mein Heil, und dich mit plagen
so übel zugericht?
Du bist ja nicht ein Sünder,
wie wir und unsre Kinder,
von Übeltaten weißt du nicht.

Ich, ich und meine Sünden,
die sich wie Körnlein finden
des Sandes an dem Meer,
die haben dir erreget
das Elend, das dich schläget,
und das betrübte Marterheer.

Du setzest dich zum Bürgen,
ja lässest dich erwürgen
für mich und meine Schuld;
mir lässest du dich kränen,
mit Dornen, die dich höhnen,
und leidest alles mit Geduld.

Ich bin, mein Heil, verbunden
all Augenblick und Stunden
dir überhoch und hehr;
was Leib und Seel vermögen,
das will ich dankbar legen
allzeit an deinen Dienst und Ehr.

Nun, ich kann nicht viel geben
in diesem armen Leben,
eins aber will ich tun:
es soll dein Tod und Leiden,
bis Leib und Seele scheiden,
mir stets in meinem Herzen ruhn.

Ich wills vor Augen setzen,
mich stets daran ergötzen,
ich sei auch, wo ich sei.
Es soll mir sein ein Spiegel
der Unschuld und ein Siegel
der Lieb und unverfälschten Treu.

Ich will darin erblicken,
wie ich mein Herz soll schmücken
mit stillem, sanftem Mut,
und wie ich die soll lieben,
die mich doch sehr betrüben
mit Werken, so die Bosheit tut.

Ich will ans Kreuz mich schlagen
mit dir und dem absagen,
was meinem Fleisch gefällt;
was deine Augen hassen,
das will ich fliehn und lassen,
gefiel es auch der ganzen Welt.

Dein Seufzen und dein Stöhnen
und die viel tausend Tränen,
die dir geflossen zu,
die sollen mich am Ende
in deinen Schoß und Hände
begleiten zu der ewgen Ruh.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: O Welt, sieh hier dein Leben von Paul Gerhardt

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „O Welt, sieh hier dein Leben“ von Paul Gerhardt ist eine tiefgründige Betrachtung über das Leiden Christi und seine Bedeutung für den Gläubigen. Es beginnt mit dem ergreifenden Bild des sterbenden Jesus am Kreuz, das als zentrale Botschaft des Gedichts dient. Die ersten Strophen beschreiben detailliert die körperlichen und seelischen Qualen, die Jesus erdulden musste, und wecken dadurch Mitgefühl und Ehrfurcht beim Leser.

In den folgenden Strophen wird die persönliche Verantwortung des lyrischen Ichs für das Leiden Jesu betont. Durch die Aussage „Ich, ich und meine Sünden“ gesteht der Dichter die eigene Schuld ein und erkennt an, dass die Sünden der Menschen, wie „Körnlein finden des Sandes an dem Meer“, die Ursache für Jesu Leiden waren. Diese Erkenntnis führt zu tiefer Dankbarkeit und dem Wunsch, sich Christus vollkommen zu widmen.

Die zweite Hälfte des Gedichts ist von einer entschiedenen Willenserklärung geprägt, die Reaktion auf die Liebe und das Opfer Jesu darstellt. Der Dichter gelobt, Jesu Leiden stets im Herzen zu tragen, ihn als Vorbild zu sehen und seinen Weg der Demut, des Verzichtes und der Liebe zu gehen. Er will sich dem Kreuz anschließen, weltliche Begierden ablehnen und das Gute in der Welt suchen.

Gerhardts Gedicht ist ein berührendes Beispiel für die tiefe Frömmigkeit des Barockzeitalters. Es verbindet eine detaillierte Beschreibung des Leidens Christi mit der persönlichen, emotionalen Auseinandersetzung des Gläubigen mit diesem Ereignis. Das Gedicht ist nicht nur eine Betrachtung, sondern ein Aufruf zum Handeln, zur Nachfolge Christi in Hingabe, Liebe und Verzicht, mit dem Ziel, durch sein Leiden in die ewige Ruhe einzugehen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.