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Wintermärchen

Von

Auf dem Baum vor meinem Fenster
Saß im rauhen Winterhauch
Eine Drossel, und ich fragte:
„Warum wanderst du nicht auch?

Warum bleibst du, wenn die Stürme
Brausen über Flur und Feld,
da dir winkt im fernen Süden
Eine sonnenschöne Welt?“

Anwort gab sie leisen Tones:
„Weil ich nicht wie andre bin,
die mit Zeiten und Geschicken
Wechseln ihren leichten Sinn.

Die da wandern nach der Sonne
Ruhelos von Land zu Land,
Haben nie das stille Leuchten
In der eignen Brust gekannt.

Mir erglüht´s mit ew´gem Strahle
– Ob auch Nacht auf Erden zieht –
sing´ich unter Flockenschauern
Einsam ein erträumtes Lied.

Wundersamer Trost der Schmerzen!
Doch nur jene kennen ihn,
Die in Nacht und Sturm beharren
Und vor keinem Winter fliehn.

Dir auch leuchtet hell das Auge;
Deine Wange zwar ist bleich;
Doch es schaut der Blick nach innen
In das ew´ge Sonnenreich.

Laß uns hier gemeinsam wohnen,
Und ein Lied von Zeit zu Zeit
Singen wir von dürrem Aste
Jenem Glanz der Ewigkeit.“

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Wintermärchen von Otto Ernst

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Wintermärchen“ von Otto Ernst ist eine ergreifende Reflexion über innere Stärke, Beständigkeit und die Fähigkeit, in der widrigsten Umgebung Trost und Sinn zu finden. Es handelt von einem Dialog zwischen dem Dichter und einer Drossel, die trotz der rauen Winterlandschaft am Fenster verweilt. Die Drossel, als Symbol für Weisheit und innere Stärke, erklärt dem Dichter, warum sie dem instinktiven Drang zur Wanderung in wärmere Gefilde widersteht.

Die Drossel enthüllt, dass sie nicht wie andere ist, die ihren Sinn den Umständen anpassen und ruhelos wandern. Sie betont die Bedeutung der inneren Leuchtkraft, die unabhängig von den äußeren Bedingungen existiert. Diese innere Sonne, das „ew´ge Strahle“, ermöglicht es ihr, selbst im Winter, wenn Nacht und Sturm toben, ein „erträumtes Lied“ zu singen. Das Gedicht preist somit die Fähigkeit, Trost in der Seele zu finden, eine Botschaft, die insbesondere in Zeiten der Dunkelheit und des Leids von Bedeutung ist.

Der Dichter wird in diesem Gedicht indirekt angesprochen. Die Drossel erkennt in ihm das gleiche innere Leuchten, obwohl er vielleicht von äußeren Umständen geprägt und seine Wangen bleich sind. Diese Anerkennung stärkt die Botschaft des Gedichts, dass die innere Stärke nicht an äußere Merkmale oder das Fehlen von Schwierigkeiten gebunden ist, sondern eine Quelle des Trostes und der Erkenntnis in der Seele jedes Einzelnen darstellt. Die Einladung, gemeinsam auf dem dürren Ast zu verweilen und ein Lied von der Ewigkeit zu singen, unterstreicht die Verbundenheit und das gemeinsame Verständnis für das Wesen der inneren Stärke.

Otto Ernst nutzt in seinem Gedicht eine einfache, aber eindringliche Sprache. Die Fragen des Dichters und die Antworten der Drossel schaffen einen Dialog, der die Leser direkt anspricht und zum Nachdenken anregt. Die Bilder von Winter, Sturm, Sonne und „ew´gem Sonnenreich“ erzeugen eine starke Atmosphäre, die sowohl die äußere Kälte als auch die innere Wärme und Hoffnung widerspiegelt. Durch die Metapher der Drossel, die dem Winter trotz, vermittelt das Gedicht eine universelle Botschaft über Widerstandsfähigkeit, innere Schönheit und die Suche nach dem Sinn des Lebens inmitten von Widrigkeiten.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.