Die frühen Gräber
Willkommen, o silberner Mond,
Schöner, stiller Gefährt der Nacht!
Du entfliehst? Eile nicht, bleib, Gedankenfreund!
Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin.
Des Mayes Erwachen ist nur
Schöner noch, wie die Sommernacht,
Wenn ihm Thau, hell wie Licht, aus der Locke träuft,
Und zu dem Hügel herauf röthlich er kömt.
Ihr Edleren, ach es bewächst
Eure Maale schon ernstes Moos!
O wie war glücklich ich, als ich noch mit euch
Sahe sich röthen den Tag, schimmern die Nacht.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die frühen Gräber“ von Friedrich Gottlieb Klopstock setzt sich mit den Themen von Vergänglichkeit, Erinnerung und dem Zyklus von Leben und Tod auseinander. Zu Beginn wird der „silberne Mond“ als „schöner, stiller Gefährte der Nacht“ begrüßt, was eine verträumte, fast mystische Atmosphäre schafft. Der Mond, ein ewiges Symbol für die Nacht und die Unvergänglichkeit der Natur, wird hier als Begleiter und „Gedankenfreund“ des Sprechers eingeführt. Der Mond scheint eine Art Trost zu spenden, während er langsam durch den Himmel zieht und die Dunkelheit erleuchtet. Doch auch der Mond muss sich, wie alles andere, der Bewegung des „Gewölks“ unterwerfen, was die unaufhaltsame Natur der Zeit und des Wandels symbolisiert.
In der zweiten Strophe beschreibt Klopstock das „Erwachen des Mayes“, also den Frühling, der als „schöner noch“ als die Sommernacht beschrieben wird. Diese Vorstellung von Frühling und Neubeginn steht im Kontrast zum Bild des Mondes und verweist auf den zyklischen Ablauf der Jahreszeiten. Der Thau, der „hell wie Licht“ aus der Locke des Frühlings träuft, symbolisiert die Reinheit und Frische der Natur. Der Frühling wird als ein Moment der Erneuerung und des Aufbruchs dargestellt, in dem das Leben wieder aufblüht und die Natur in lebendigem Glanz erstrahlt.
Die dritte Strophe bringt jedoch eine Wendung, indem sie das Thema des Todes und der Vergänglichkeit in den Vordergrund rückt. Die „Edleren“, die bereits in den „frühen Gräbern“ liegen, sind von Moos überwuchert, was das Bild des Verfalls und der Ruhe in der Erde evoziert. Der Dichter spricht von seiner eigenen Glückseligkeit, als er noch mit den Verstorbenen „den Tag sah“ und „die Nacht schimmern“ konnte. Diese Erinnerung an die vergangenen Zeiten, in denen er mit den Verstorbenen das Leben teilte, ist von einer bittersüßen Sehnsucht geprägt. Der Sprecher scheint in den „frühen Gräbern“ eine Verbindung zwischen dem Leben und dem Tod zu suchen und sieht in der Erinnerung an vergangene Zeiten eine Quelle der Freude und des Trostes, aber auch der Trauer.
Das Gedicht endet mit einem Gefühl der Melancholie und des Nachdenkens über die Vergänglichkeit. Der Mond, der Frühling und das Moos, das die Gräber der „Edleren“ bewächst, bilden eine symbiotische Verbindung zwischen Leben und Tod, zwischen Erneuerung und Verfall. Klopstock stellt die Natur und die Zyklen der Jahreszeiten als Spiegelbild der menschlichen Existenz dar – ein Zyklus von Anfang und Ende, der unausweichlich und doch von Schönheit und Trost begleitet ist. Das Gedicht erinnert uns an die Unvermeidlichkeit des Todes, bietet aber auch einen Moment der Besinnung, der in der Erinnerung und der Verbindung mit der Vergangenheit Trost finden kann.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.