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Die Ankunft

Von

Ihr, die Ihr diese Zeilen nie lesen werdet. Dürftige Mädchen, die in ungesehenen Winkeln von Soldaten gebären,

Fiebrige Mütter, die keine Milch haben, ihre Kinder zu nähren.

Schüler, die mit erhobnem Zeigefinger stramm stehen müssen,

Ihr Fünfzehnjährige mit dunklem Augrand und Träumen von Maschinengewehrschüssen,

Ihr gierige Zuhälter, die den Schlagring verbergt, wenn Ihr dem Fremden ins Menschenauge seht,

Ihr Mob, die Ihr klein seid und zu heißen Riesenmassen schwellt, wenn das Wunder durch die Straßen geht,

Ihr, die Ihr nichts wißt, nur daß Euer Leben das Letzte ist, Eure Tage sind hungrig und kalt:

Zu Euch stäuben alle Worte der Welt aus den Spalten der Mauern, zu Euch steigen sie wie Weinrauch aus dem Dunst des Asphalt.

Ihr tragt die Kraft des himmlischen Lichts, das über Dächer in Euer Bleichblut schien.

Ihr seid der schallende Mund, der Sturmlauf, das Haus auf der neuen gewölbten Erde Berlin.

Ihr feinere dämliche Gelehrte, die Ihr nie Euch entscheidet hinter Bibliothekstischen,

Ihr Börsenspieler, die mit schwarzem Hut am Genick schwitzend witzelt in Sprachgemischen.

Ihr Generäle, weißbärtig, schlaflos in Stabsquartieren, Ihr Soldaten in den Leichenrohren der Erde hinter pestigen Aasbarrikaden.

Und Kamerad, Sie, einsam unter tausend Brüdern Kameraden;

Kamerad, und die Brüder, die mit allem zu Ende sind, Dichter, borgende Beamte, unruhige Weltreisende, reiche Frauen ohne Kind,

Weise, höhnische Betrachter, die aus ewigen Gesetzen den kommenden Krieg lehren: Japan-Amerika,

Ihr habt gewartet, nun seid Ihr das Wort und der göttliche Mensch. Und das himmlische Licht ist nah.

Ein Licht flog einst braunhäutig vom Südseegolf hoch, doch die Erde war ein wildes verdauendes Tier.

Eure Eltern starben am Licht, sie zeugten Euch blind. Aber aus Seuche und Mord stiegt Ihr.

Ihr soget den Tod, und das Licht war die Milch, Ihr seid Säulen von Blut und sternscheinendem Diamant.

Ihr seid das Licht. Ihr seid der Mensch. Euch schwillt neu die Erde aus Eurer Hand.

Ihr ruft über die kreisende Erde hin, Euch tönt ‚rück Euer riesiger Menschenmund,

Ihr steht herrlich auf sausender Kugel, wie Gottes Haare im Wind, denn Ihr seid im Erdschein der geistige Bund.

Kamerad, Sie dürfen nicht schweigen. O wenn Sie wüßten, wie wir geliebt werden!

Jahrtausende mischten Atem und Blut für uns, wir sind Sternbrüder auf himmlischen Erden.

O wir müssen den Mund auftun und laut reden für alle Heute bis zum Morgen.

Der letzte Reporter ist unser lieber Bruder,

Der Reklamechef der großen Kaufhäuser ist unser Bruder!

Jeder, der nicht schweigt, ist unser Bruder!

O zersprengt die Stahlkasematten Eurer Einsamkeit!

O springt aus den violetten Grotten, wo Eure Schatten im Dunkel aus Eurem Blut lebend schlürfen!

Jede Öffnung, die Ihr in Mauern um Euch schlagt, sei Euer runder Mund zum Licht!

Aus jeder vergessenen Spalte der Erdschale stoßt den Atemschlag des Geistes in Sonnenstaub!

Wenn ein Baum der Erde den Saft in die weißen Blüten schickt, laßt sie reif platzen, weil Euer Mund ihn beschwört !

O sagt es, wie die geliebte grünschillernde Erdkugel über dem Feuerhauch Eures lächelnden Mundes auf und ab tanzte!

O sagt, daß es unser Mund ist, der die Erdgebirge wie Wolldocken bläst!

Sagt dem besorgten Feldherrn und dem zerzausten Arbeitslosen, der unter den Brücken schläft, daß aus ihrem Mund der himmlische Brand lächelnd quillt!

Sagt dem abgesetzten Minister und der frierenden Wanderdirne, sie dürfen nicht sterben, eh hinaus ihr Menschenmund schrillt!

Kamerad, Sie werden in Ihrem Bett einen langen Schlaf tun. O träumen Sie, wie Menschen Sie betrogen; Ihre Freunde verließen Sie scheel.

Träumen Sie, wie eingeschlossen Sie waren. Träumen Sie den Krieg, das Bluten der Erde, den millionenstimmigen Mordbefehl,

Träumen Sie Ihre Angst; Ihre Lippen schlossen sich eng, Ihr Atem ging kurz wie das Blätterbeben an erschreckten Ziergesträuchen.

Schwarzpressender Traum, Vergangenheit, o Schlaf im eisernen Keuchen!

Aber dann wachen Sie auf, und Ihr Wort sprüht ums Rund in Kometen und Feuerbrand.

Sie sind das Auge. Und der schimmernde Raum. Und Sie bauen das neue irdische Land.

Ihr Wort stiebt in Regenbogenschein, und die Nacht zerflog, wie im Licht aus den Schornsteinen Ruß.

O Lichtmensch aus Nacht. Ihre Brüder sind wach. Und Ihr Mund laut offen ruft zur Erde den ersten göttlichen Gruß.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Ankunft von Ludwig Rubiner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Ankunft“ von Ludwig Rubiner ist eine hymnische Beschwörung an die Menschheit, insbesondere an die Unterdrückten und Ausgegrenzten, und eine Vision einer kommenden, erneuerten Welt. Es zeichnet sich durch eine kraftvolle, pathetische Sprache aus, die von Hoffnung und einem Aufbruchsgefühl getragen wird.

In den ersten Strophen richtet sich das lyrische Ich an verschiedene Gruppen von Menschen – von den ungesehenen Müttern und den gedemütigten Schülern bis hin zu den Kriegstreibern und den Intellektuellen. Rubiner benennt explizit die Verhältnisse, die die Gesellschaft im Ungleichgewicht halten und die Menschen in Leid und Not bringen. Dabei werden die sozialen Missstände und die drohende Kriegsgefahr thematisiert, was dem Gedicht einen deutlichen politischen Unterton verleiht. Der Text vermittelt ein Gefühl des Verzweifelns, aber auch der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, in der alle Menschen in Würde leben können.

Kern des Gedichts ist die Verklärung des Menschen als Träger des neuen Lichts. Durch die Metapher des Lichts, die sich durch das gesamte Gedicht zieht, wird die zentrale Botschaft des Textes deutlich: Die Menschen, besonders die zuvor erwähnten Unterdrückten, sind Träger einer inneren Kraft, die in der Lage ist, die Welt zu verändern. Sie sind die „Säulen von Blut und sternscheinendem Diamant“ und letztlich „das Licht“ selbst. Dieser zentrale Gedanke wird durch zahlreiche rhetorische Fragen, Ausrufe und Appelle verstärkt.

In den letzten Strophen folgt der Aufruf zur Aktion. Die Menschen sollen nicht länger schweigen, sondern ihre Stimme erheben, um eine neue, gerechtere Welt zu erschaffen. Rubiner ruft dazu auf, die Mauern der Einsamkeit zu durchbrechen und die Kraft der Worte zu nutzen, um eine Revolution des Geistes zu entfachen. Die Vision einer kommenden Welt wird so zur Realität, in der die Brüderlichkeit der Menschen und die Schönheit der Erde im Zentrum stehen. Die Hoffnung auf ein besseres Morgen wird greifbar.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Die Ankunft“ ein leidenschaftliches Plädoyer für die Menschlichkeit und die transformative Kraft der Hoffnung ist. Es ist ein Zeugnis der Sehnsucht nach einer gerechteren Welt, in der die Menschen ihre Stimme erheben und gemeinsam eine neue, strahlende Zukunft gestalten können. Rubiners Gedicht ist ein Ausdruck des Aufbruchs, der dem Leser Hoffnung gibt, aber auch zum Handeln auffordert.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.